Kultur

Buch-Tipp: Napoleons Erben

Am 13. Januar 1806 kam in der Grünen Galerie der Münchner Residenz ein erlauchter Kreis zusammen, „um nach dem neuen französischen Recht der Ziviltrauung des Vizekönigs Eugène von Italien mit Auguste Amalie Prinzessin von Bayern beizuwohnen“ (S. 28). Herausragende Persönlichkeiten waren dabei Napoléon I. Bonaparte, Kaiser der Franzosen und seine Frau Joséphine de Beauharnais sowie König Max I. Joseph (seit 1. Januar 1806 König von Bayern) und seine Gemahlin Königin Caroline. Nicht unbegründet veröffentlicht Bernhard Graf diesen Bildband 200 Jahre nach dem Tod Napoléons auf der Insel Sankt Helena 1821. Wie hängt dies alles zusammen?

Diese hochspannende Geschichte, die insbesondere Bayern berührt, führt durch Heirat zur Verbindung mit zahlreichen europäischen Fürstenhäusern bis zum Zaren von Russland und zum Kaiser von Brasilien.

Die von Napoléon geforderte Verbindung (ansonsten werde er Bayern besetzen) brachte der 17-jährigen Prinzessin viel Kummer, da sie bereits anderweitig verlobt war. Sie willigte aber ein und schrieb an den Vater: „[…] Mein Schicksal wird mir durch das Bewusstsein versüßt werden, dass ich mich für meinen Vater, meine Familie und mein Vaterland geopfert habe“ (S. 27).

Wer war dieser Eugène, der Vizekönig von Italien? Erstmals erfahren wir durch das Werk von Bernhard Graf mehr über diesen besonderen und edlen Charakter. Dies zeigt sich unter anderem im Tiroler Aufstand 1809, bei dem Napoléon seinem Stiefsohn Eugène den Befehl erteilt, die aufständischen Tiroler endgültig zu unterwerfen. Eugène richtete die Worte an Andreas Hofer und seine Schützen: „Tiroler! Wenn Eure Klagen und Forderungen begründet sind, dann, verspreche ich, wird Euch Gerechtigkeit widerfahren“ (Seite 44). Die Tiroler kapitulierten nicht; das Ende ist bekannt. Eugène: „Diese Mission sei tausendmal verflucht!“

Nach dem Sturz Napoleons nahm König Maximilian die Familie in München auf. Eugène erhält vom Wiener Kongress für das verlorene Königreich Italien eine hohe Entschädigung; Schwiegervater Max verlieh ihm den Titel „Herzog von Leuchtenberg“ und er wird 1817 auch Fürst von Eichstätt. Nun begann er ebenso den Bau des Palais Leuchtenberg in München (heute: Finanzministerium), das die Familie mit sechs Kindern 1821 bezog.

Nach dem frühen Tod von Eugène 1824 versuchte nun dessen Witwe Auguste Amalie, ihre Kinder in den Fürstenhäusern Europas standesgemäß unterzubringen. Die älteste Tochter Joséphine heiratete den schwedischen Kronprinzen Oskar und wurde erste bayerisch-stämmige Königin von Schweden und Norwegen. Ihre Schwester Eugénie wurde Fürstin von Hohenzollern-Hechingen; Schwester Amélie heiratete Dom Pedro I. Kaiser von Brasilien; ihr Bruder August dessen Tochter aus erster Ehe, Königin Maria II. von Portugal. Die jüngste Schwester Théodolinde wurde Gräfin von Württemberg. Maximilian, der jüngste Sohn, schloss 1839 mit Großfürstin Maria Nikolajewna, der Tochter von Zar Nikolaus I. die Ehe und begründete damit die russische Linie der Leuchtenbergs, die bis heute weiter besteht.

In vielen Details werden die höchst unterschiedlichen Lebensgeschichten der Leuchtenberg Söhne und Töchter geschildert. So starb Dom Pedro relativ früh und Amélie, die Kaiserinwitwe kehrte nach Bayern zurück und kaufte im Chiemgau Stein an der Traun und das ehemalige Kloster Seeon in der Hoffnung auf eine künftige Verbindung ihrer Tochter mit dem Habsburger Maximilian Erzherzog von Österreich (später: Kaiser von Mexiko). Auch Herzog Maximilian von Leuchtenberg verstarb sehr jung in Russland und sein Sohn Nicolaus führte mit seiner Frau Nadine Gräfin de Beauharnais und den Söhnen Nicolaus und Georg im Chiemgau die russische Linie fort. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kämpften beide als hohe Offiziere in zaristischen Diensten. Nach dem Ende des Krieges entwickelte sich Seeon zum Sammel- und Treffpunkt von russischen Adeligen und Intellektuellen. Mit dem Zusammenbruch des zaristischen Reiches und damit dem Verlust der Besitzungen in Russland und mit der Weltwirtschaftskrise begann auch der wirtschaftliche Abstieg dieser neben den Wittelsbachern bedeutendsten Adelsfamilie in Bayern.

Neben der hohen politischen Bedeutung dieser Familie fällt auch die künstlerische Begabung vieler Familienmitglieder auf. Der Ausgangspunkt dafür war wohl in Auguste Amalie zu sehen, die ihre hochbegabten Zöglinge, angeleitet von ihrem Zeichenlehrer Johann Nepomuk Muxel, der zugleich Präsident der Kunstakademie war, besonders fördert. Eine Reihe von Zeichnungen, die vom Autor wieder entdeckt wurden, belegen dies. Es ist auch bemerkenswert, dass in den letzten zwei Generationen die Begabung vom bildnerischen Bereich auf den musikalischen übergegangen war. Das jetzige Oberhaupt des Hauses Leuchtenberg war beruflich Tonmeister und sein Vater Komponist, Gründer eines Donkosaken-Chores und exzellenter Absolvent der Akademie der Tonkunst in München.

Und beide dürfen mit Fug und Recht behaupten, dass ihre Urväter königliche beziehungsweise kaiserliche Hoheiten waren. Bis heute lebt mit Herzog Nicolaus von Leuchtenberg die russische Linie weiter. Die Leuchtenbergs, eine bayerisch-russisch-europäische Adelsfamilie, hat die Geschichte in Bayern und weit darüber hinaus wesentlich mitgeformt. Es ist als besonderer Vorzug dieses Bildbandes anzusehen, dass der Verfasser den Blickwinkel immer aus der jeweiligen Zeit auf die handelnden Personen, die Inhalte und Entwicklungen richtet.

Über den Autoren

Bernhard Graf, promoviert in Geschichte, Kunstgeschichte und Germanistik und durch viele Veröffentlichungen als Experte für diese Epoche ausgewiesen, versteht es, die Leser bei der Betrachtung dieser großen Dynastie von 1806 bis heute immer wieder in den Bann zu ziehen. Mit den vielen neuen Entdeckungen in Text und Bildern ist es ihm gelungen, ein neues Standardwerk für diese Epoche zu schaffen. S.K.H. Max Emanuel Herzog in Bayern schreibt dazu in seinem Geleitwort: „Besonders beeindruckt das Buch durch seine umfangreichen, zumeist unbekannten Abbildungen zu heute weit verstreuten, schwer auffindbaren Kunstwerken, zu Dokumentationsmaterial und alten Fotografieren.“

Für jeden an bayerischer Geschichte und Kunst Interessierten ist dieses Werk, das in enger Zusammenarbeit mit den weit verstreuten Familienmitgliedern und vielen Fachinstitutionen entstanden ist, eine wahre Fundgrube!

Informationsübersicht:

  • Autor: Graf, Bernhard
  • Titel: Napoleons Erben. Die Herzöge von Leuchtenberg.
  • Verlag: Allitera Verlag 2021
  • Aufmachung: 268 S., reich illustriert, 1004 Fußnoten, 15 Seiten Buchhinweise, detaillierte Genealogie.

Bericht: Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Wittmann

Fotos: Allitera-Verlag

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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