Brauchtum

Bräuche und Legenden für die Winterzeit: Das Paradeisl

Die Autorin Dorothea Steinbacher hat das Buch „Wenn’s draußen finster wird – Bräuche und Legenden für die Winterzeit“ geschrieben, das im Oktober im Kösel Verlag erschienen ist (siehe hier). In einem der darin beschriebenen Bräuche geht es um das Paradeisl:

Bevor zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Adventskranz in Süddeutschland ankam, schmückte das Paradeisl die Stuben in Bayern und in Österreich. Es galt als Adventsschmuck der einfachen Leute, deshalb gibt es wenige Dokumente, die über die Herstellung und den Gebrauch berichten.

Das Grundprinzip ist immer gleich: In Form einer Pyramide werden vier rotbackige Äpfel mit sechs Holzstäbchen zusammengesteckt. Drei Äpfel, verbunden durch drei Hölzer, bilden die Basis. In diese drei Äpfel werden drei Stäbchen schräg nach oben eingesteckt, die dann den vierten Apfel als Pyramidenspitze halten. Die Äpfel dienen als Halterungen für die vier Adventskerzen, die vierte Kerze an der Spitze wird erst am vierten Adventssonntag angezündet. Die Hölzchen wurden bevorzugt aus schönen, gerade gewachsenen Haselnussästchen geschnitten, oft kunstvoll durch Rindenschnitzerei verziert oder mit Goldpapier umwunden. Diese Verbindungsstäbe konnten mit grünen Zweigen geschmückt werden, wie Buchs oder Tanne. Und in der Mitte der Pyramide hing, an der Unterseite des obersten Apfels mit einem Band befestigt, eine vergoldete Walnuss.

So einfach dieses Gebilde anmutet, so vielfältig wird es aus christlicher Sicht gedeutet. Schon der Name weist auf den Bezug zum Alten Testament hin: Paradeisl, das kleine Paradies, baute man nach mit den Äpfeln, den Lichtern und dem frischen Grün. So wie die Urmutter Eva die Menschen in die Erbsünde stürzte, als sie entgegen Gottes Anweisung den verbotenen Apfel pflückte, so opferte sich Maria als Mutter des gekreuzigten Christus, um die Menschheit von der Erbsünde zu erretten. Nicht umsonst hat die Kirche den Namenstag der Eva auf den 24. Dezember gelegt, den Tag, nach dem Maria, die „neue Eva“ aus dem Neuen Testament, den Retter gebären wird. Mit der Geburt Christi an Weihnachten wird das Paradies für die Menschen wieder aufgeschlossen. Die pyramidale Form aus Dreiecken wird als Sinnbild für die Trinität gedeutet. Die vier Lichter auf dem Paradeisl weisen auf Christus als Lichtbringer in der Dunkelheit hin, das frische Grün mitten im Winter auf Freude, Leben und Fruchtbarkeit – wie beim Adventskranz. Die goldene Walnuss unter der letzten Kerze ist das Symbol für das Geheimnis, das sich erst am Weihnachtstag offenbaren wird. Geduldige Bastler öffnen die Walnuss, bevor sie zum Einsatz kommt, lösen den Kern heraus und setzen ein kleines Jesuskind aus Wachs hinein. Die beiden Hälften werden wieder zusammengesetzt und erst am Weihnachtsabend geöffnet. In anderen Familien wurde zu Weihnachten ein kleines Körbchen mit dem Christkind in die Mitte des Paradeisls gestellt.

Woher das Paradeisl kommt, ist nicht gesichert. Belege gibt es besonders für katholische Gegenden, vor allem für den Bayerischen Wald und München. Nachdem im 19. Jahrhundert viele arme Oberpfälzer auf der Suche nach Arbeit in die Landeshauptstadt zogen, könnten sie es mitgebracht haben. 1933 vermeldeten die Münchener Neuesten Nachrichten, dass das Paradeisl fast in jeder vorweihnachtlichen Stube zu finden sei.

Eckdaten zum Buch:

  • Autor: Dorothea Steinbacher
  • Titel: Wenn’s draußen finster wird. Bräuche und Legenden für die Winterzeit
  • Aufmachung: 192 Seiten, durchgehend vierfarbig
  • ISBN: 978-3-466-37224-9
  • Verlag: Kösel Verlag
  • Jahr: 2020

Das Buch ist erhältlich in jeder Buchhandlung.

Text und Bildmaterial: Dorothea Steinbacher

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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