50 vergessene oder unbekannte Kernobstsorten haben in Saaldorf-Surheim, einen Platz gefunden, der sie vor dem verschwinden rettet. Im Rahmen des Projektes Apfel.Birne.Berge entsteht in Haberland ein Sortenerhaltungsgarten – von den Verantwortlichen auch liebevoll „Garten der Vergessenen“ genannt –, der in Zukunft 100 Birnen- und Apfelsorten sichert.
Insgesamt 262 Sorten konnten die Kreisfachberater der sechs am Projekt teilnehmenden oberbayerischen Voralpenlandkreise sammeln, bestimmen oder genetisch untersuchen. Der Trägerverein Biosphärenregion BGL, der Landschaftspflegeverband und der Kreisgartenfachberater des Berchtesgadener Landes planten dann die Durchführung der Pflanzaktion. Mit Hilfe von 50 ehrenamtlichen HelferInnen fanden die ersten 100 Bäume ihren Platz in Haberland. Nächsten Herbst werden noch einmal 100 Obstbäume gepflanzt.
Fast zehn Jahre sind vergangen, seit die damalige Biodiversitätsbeauftragte der Regierung von Oberbayern mit der Idee eines Sortenerhaltungsprojektes im Alpenvorland warb. Von 2015 bis 2018 wurden Sorten, die teilweise nur noch an einem einzigen alten Baum verfügbar waren, aufgenommen und die Früchte Spezialisten zwischen Bodensee und Mostviertel zur Bestimmung vorgelegt. Sorten, die nicht eindeutig zugeordnet werden konnten, wurden mithilfe einer Genanalyse bestimmt. Mehr als 300 Sorten sind in dem Projekt untersucht worden, 262 wurden bestimmt, bzw. als unbekannt (keiner bekannten Sorte zuordenbar) eingestuft. Seit 2019 berät und koordiniert eine Projektmanagerin die sechs teilnehmenden Voralpen-Landkreise bei der Organisation und Finanzierung der sechs Erhaltungsgärten. Rosenheim und Traunstein pflanzen Gärten mit allen 262 Sorten, im Berchtesgadener Land werden 100 Sorten, 50 Birnen- und 50 Apfelsorten, je auf Spindel und Hochstamm gepflanzt.
Schutz durch Nutzen
Neue Obstsorten werden meist für den Anbau mit optimalen Bedingungen in Gunstlagen wie Bodensee oder Südtirol und für den Verkauf im Supermarkt als Tafelobst gezüchtet. Für die damaligen bäuerlichen Betriebe hingegen war es wichtig, dass der Baum robust ist, und sich die Ernte bis in den Frühling lagern lässt – sei es durch lagerfähige Sorten oder durch Verarbeitung zu gedörrten Kletzen, Schnaps, Saft, Most oder Kompott. So sind die Früchte der alten Sorten selten feine Tafelfrüchte. Unter den alten, unbekannten Sorten sind viele süße, winzige Birnen, die für Edelbrände gut geeignet sind, oder auch Birnen, deren reifes Fruchtfleisch bräunlich verdorben erscheint, jedoch phantastische Dörreigenschaften aufweist. Daneben gibt es Äpfel, die zwar extrem sauer sind, deren sortenreiner Saft jedoch seinesgleichen sucht. Speziell die Verarbeitung zu Edelbrand ist hier zu nennen, da für die feinste und konzentrierteste Art der Veredelung der Früchte große Mengen an Obst benötigt werden. „Schutz durch Nutzen“ trifft laut Kajetan Schnitzer, Vorstand des Südostbayerischen Verbands der Obst- und Kleinbrenner, besonders auf Edelbrandbrennen zu.
Evi Bichler-Öttl, Projektmanagerin von Apfel.Birne.Berge, wies darauf hin, dass im Berchtesgadener Land die Verarbeitung zu Dörrobst im Vergleich zu den anderen fünf Landkreisen besonders stark ausgeprägt war, beziehungsweise noch ist. Dies zeigt sich auch an den im Berchtesgadener Land überdurchschnittlich viel kartierten Birnen. Alle in der Region gefunden alten Birnensorten sind in Haberland gepflanzt. Anton Kern, 1. Vorstand des Landschaftspflegeverbands Biosphärenregion Berchtesgadener Land, sieht den Wert des Erhaltungsgartens neben der genetischen Erhaltung der Sorten auch stark im Erhalt, bzw. dem Wiederaufleben von alten Kulturtechniken wie Dörren und Brennen.
Kein „Museum für Nostalgiker“
Auf Hochstammbäumen kann die erste Ernte schon mal zehn Jahre auf sich warten lassen. Deshalb ist in dem Garten jede Sorte auch als Spindelbusch gepflanzt – kleinbleibende Bäume, die aufgrund schwach wachsender Unterlage schon nach zwei bis drei Jahren Erträge bringen. Mit diesen frühen Ernten können die Qualität der Früchte und auch die am besten geeignete Verarbeitungsform beurteilt werden, bevor die Sorten mit Hilfe von Edelreisern bei Interessierten in den Streuobstwiesen vermehrt werden. Die Informationen über Qualität und Verarbeitung sind essentiell, damit die Sorten genutzt werden, und somit nachhaltig erhalten bleiben. Der Erhaltungsgarten soll kein „Museum für Nostalgiker“ sein, vielmehr ist er ein öffentlich zugänglicher Obstgarten, in dem sich die Bevölkerung Informationen über alte Obstsorten sowie Edelreiser zum Veredeln holen kann. Angesichts der Klimaveränderung und Modeerscheinungen im Obstsortiment werden Erhaltungsgärten dieser Art auch für die gewerbliche Sortenzüchtung ein wichtiger Genpool werden.
Der Pflanzgarten hat einige Besonderheiten: Zum einen stehen die Bäume nicht wie gewöhnlich in einem Raster, rechtwinkelig in Reih und Glied, sondern sind in Kreisbögen gepflanzt. Zum anderen kann der Eigentümer der Fläche, Andreas Buchwinkler, die Wiese weiterhin mit Hühnern in mobilen Ställen bewirtschaften. Dadurch ergeben sich Vorteile für Bäume, Hühner und Bewirtschafter: Die Hühner übernehmen nicht nur die Mahd, ohne die Bäume zu beschädigen, sie vertilgen auch die Larven von Schadinsekten und düngen zugleich die Bäume, während die Kronen der Bäume den Hühner Schutz vor Greifvögeln und Schatten bieten. Kreisgartenfachberater Sepp Stein sieht diese Kombination als „eine Form der Landwirtschaft der Zukunft, bei der man durch eine Doppelnutzung der Fläche Synergien nutzt“.
Jubiläumsbaum eingeweiht
Die Gartenbauvereine werden sich auch künftig in Form von Schnitt- und Veredelungskursen an dem Projekt beteiligen. Auch bei der Verbreitung der Sorten durch Edelreiser sind die Kontakte der Gartenbauvereine unverzichtbar. Aus diesem Grund wurde bei der Planung des „Gartens der Vergessenen“ ein Platz für einen Wahlnussbaum – der Jubiläumsbaum für das 50-jährige Bestehen des Kreisverbandes für Gartenbau und Landschaftspflege – eingeplant, der während der Pflanzaktion mitgepflanzt und eingeweiht wurde. Der Baum wurde mit finanzieller Hilfe der Sparkasse BGL und des oberbayerischen Bezirksverbandes der Gartenbauvereine angeschafft.
Landrat Bernhard Kern würdigte bei der Aktion die Kooperation zwischen öffentlichen Trägern und den Gartenbauvereinen, da „nur durch eine solche Zusammenarbeit ein so langfristiges Projekt, eine Investition in die Zukunft, nachhaltig gestaltet, gepflegt und erhalten werden kann“.
Bericht und Fotos: Landratsamt Berchtesgadener Land