Ein Garten, in dem Totholz, Steinhaufen und Laubhäufen herumliegen, heimische Sträucher frei, ohne schnurgeraden Schnitt wachsen und der Rasen nicht alle zwei Wochen gemäht wird, ist nicht unbedingt ein Zeugnis für einen faulen oder unfähigen Gartler. Vielmehr sind dies Elemente eines naturnahen Gartens, in dem man sowohl Gemüse und Obst ernten, als auch selten gewordene Tier- und Insektenarten beobachten oder einfach nur die bunte Vielfalt genießen kann. Früher musste man sich für solch einen Garten vielleicht erklären, heute kann man sich dafür auszeichnen lassen – so wie die 13 Gartenbesitzer aus dem Berchtesgadener Land bei der „Bayern blüht – Naturgartenzertifizierung“.
Im Naturgarten von Gertrud Flatscher wurden die Naturgartler von Landrat Bernhard Kern feierlich mit Urkunde, Blumenstrauß und einer Naturgartenplakette für das Gartentürl geehrt. Zuvor haben zwei Juroren aus den Reihen des Kreisverbandes für Gartenbau und Landschaftspflege BGL die Gärten der Teilnehmer beurteilt. Für eine erfolgreiche Zertifizierung müssen alle drei Kernkriterien eingehalten werden:
- Verzicht auf synthetisch-chemische Dünger
- Keine Verwendung von Torf
- Ausschließliche Nutzung von Pflanzenschutzmitteln, die im ökologischen Landbau zugelassen sind
Zusätzlich werden anhand von 14 Kann-Kriterien Punkte verteilt. Wird aus diesen Kriterien, wie beispielsweise heimische Gehölze, Nisthilfen, Kompostierung, ressourcenschonende Materialwahl, Kräuter- und Gemüseanbau etc. eine bestimmte Anzahl erreicht, kann der Garten zertifiziert werden. Die meist einstündigen Begehungen sind jedoch weniger vom strengen Blick der Juroren geprägt. Vielmehr ist es ein Staunen, Fachsimpeln und Beraten, wie noch mehr artenreiches Leben in den Garten kommen könnte. Die Mitglieder des Gartenbauvereins Piding sowie der Kreisgartenfachberater Sepp Stein und nicht zuletzt Landrat Bernhard Kern konnten sich vor Ort überzeugen, dass der Garten der Gastgeber alle Kriterien erfüllt: Sie bestaunten eine lange eingewachsene Hecke, bestehend aus vielerlei heimischen Busch- und Baumarten, klaubten und verkosteten Äpfel von über siebzig Jahre alten Obstbäumen, deren Astlöcher und Faulstellen Lebensraum und Nahrung für unzählige Tierarten darstellen, und fachsimpelten an dem üppigen Gemüsebeet.
Landrat Kern betonte die Wichtigkeit der naturnahen Gärten für die Artenvielfalt: „Rund 3,5 Prozent der Fläche Deutschlands sind Privatgärten und öffentliche Grünflächen. Sie nehmen bei weitem mehr Fläche ein, als alle Nationalparke und fast so viel wie alle Naturschutzflächen Deutschlands“. Naturnahe Gartengestaltung sei also nicht nur ein Spleen einzelner naturverrückten Gartler, denn wenn das Thema zur Gänze in der Gesellschaft ankommt, hätten großflächige und zusammenhängende naturnahe Gärten durchaus das Zeug dazu, den Arten, die heute selten sind, eine breite Überlebenschance zu bieten. Aus diesem Grund sei es nicht nur wichtig, seinen Garten naturnah zu gestalten und zu pflegen, sondern auch andere Gartenbesitzer davon zu überzeugen – naturnahes Gärtnern soll ansteckend sein. Kreisfachberater Sepp Stein betonte die Wichtigkeit von Theorie und Praxis bei dem Thema: „Welche Pflanzen wo am besten wachsen, setzt ein gewisses Grundwissen voraus, die praktische Erfahrung im eigenen Garten aber macht einen erfolgreichen Gartler aus.“ Habe man die Absicht, neue und seltene Tierarten in sein Gartenreich zu holen, sei jedoch nachlesen angesagt. Denn „bis man durch ausprobieren darauf kommt, dass zum Beispiel Zitronenfalter Faulbäume und Holzbienen die Blüten von Hülsenfrüchtlern brauchen, kann schon eine sehr lange Zeit vergehen“.
Christine Koch vom Obst- und Gartenbauverein Piding, der die Organisation und Dekoration der Veranstaltung übernahm, betonte den hohen Stellenwert naturnaher Gärten für die Gartenbauvereine. Es sei „ein Thema, das die Vereine schon lange bespielen und zu dem sie ihr Wissen nun an Neu-Gartler und Interessierte weitergeben“ wollen. Nach dem offiziellen Teil hatten die Naturgartler bei Brotzeit, Kaffee und Kuchen Zeit, sich auszutauschen: über das Überwintern von Igeln, einen Eisvogel, der am Schwimmteich einen kurzen Stopp eingelegt hatte, über Siebenschläfer, das Schmetterlingssterben, holzzersetzende Käfer, aber auch Feuerbrand, Kraut- und Braunfäule und andere Herausforderungen. Dabei wurden Kontakte geknüpft, um auch die Gärten der anderen Teilnehmer zu besuchen, denn es sollen sich nicht nur die Gärten, sondern auch die Gartler miteinander verbinden. Wer im kommenden Jahr Interesse an einer Naturgartenzertifizierung hat, Fragen zu naturnahen Gärten stellen möchte oder Beratung bei Gartenproblemen benötigt, kann sich unter Telefon 08651 773 853 oder kreisgartenfachberatung@lra-bgl.de direkt an Kreisgartenfachberater Sepp Stein wenden.
Bericht und Foto: LRA BGL – Hecken_vergleich (1): Hecken im direkten Vergleich, links die häufige und vergleichsweise „leblose“ Thujenhecke, rechts eine frei wachsende Hecke aus verschiedenen heimischen Sträuchern, die eine Vielzahl an Insekten, Vögeln und Kleinsäugern mit Wohnraum und Nahrung versorgt (Foto: Sepp Stein)
NGZ_Teilnehmer2: Die Gartler erhielten eine Urkunde, eine Naturgartenplakette und einen Blumenstrauß. (Foto: Irina Markina)