Kirche

Besuch bei der Ökumenischen Sozialstation in Prien

Veröffentlicht von Anton Hötzelsperger

Seit mehr als 40 Jahren gibt es in Prien eine Ökumenische Sozialstation. Dessen haupt- und ehrenamtliches Personal pflegt und betreut alte und kranke Menschen in der gesamten Chiemseeregion. Seit 2018 ist die Sozialstation eine gemeinnützige GmbH, paritätisch getragen von Caritas und Diakonieverein Prien. Die Geschäftsführerin Beate Bolz erklärt hierzu: „Unser Handeln orientiert sich an den christlichen Grundwerten ganz nach dem Johannes-Wort: „Lasset uns nicht lieben mit Worten, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit“ .  Seit 2007 hat die Ökumenische Sozialstation gGmbH ihr Büro- und Beratungs-Domizil in der Schulstraße 3 inmitten der Marktgemeinde.

An einem Tag mit Team-Besprechung konnten wir mit Frau Bolz über ihre aktuellen Tätigkeiten und Sorgen sprechen, dazu bekamen wir auf nachfolgende Fragen diese Antworten:

Frage: Wieviel Personen gehören zu Ihrem Wirkungsbereich und welches Gebiet bzw. welche Gemeinden betreuen Sie?

Derzeit versorgen wir pflegerisch und medizinisch zwischen 52 und 60 Personen in Prien und Umgebung. Leider mussten wir aufgrund der Personalsituation und der häufig schwierigen Verkehrssituation unseren Radius erheblich einschränken. Wenn Pflegepersonal lange Anfahrtszeiten in Kauf nimmt, kommt es zu Problemen hinsichtlich der Verteilungsgerechtigkeit: wenn eine Anfahrt einfache Strecke 20 Minuten beträgt, können rund zwei bis drei Personen weniger professionelle Unterstützung erhalten. Das ist ein soziales und gesellschaftliches Problem. Wir sind deshalb bemüht, in Absprache mit Kollegen aus den benachbarten Pflegediensten, bestmögliche Lösungen zu erarbeiten. Hierfür treffen wir uns regelmäßig in unserem regionalen Arbeitskreis „Ambulante Pflege Chiemgau“. Insofern liegt unser Versorgungsschwerpunkt derzeit in Prien und Rimsting.  Wir sind aktuell in der glücklichen Lage wieder neue Kolleg:innen eingestellt zu haben und werden sehen wie sich die Situation in Zukunft gestalten lässt. Neben diesen oft täglich ein bis zweimal zu versorgenden Patienten beraten wir noch rund 100 Klienten, die ausschließlich von ihren Angehörigen versorgt werden. Hierzu noch eine aktuelle Zahl: in Deutschland leben rund 4,4 Millionen Pflegebedürftige Menschen, nur 1,1 Millionen erhalten dabei Unterstützung von professionellen Pflegekräften. Weitere 800.000 leben in einer stationären Einrichtung.  Diejenigen Pflegegeldempfänger, welche ausschließlich von ihren Angehörigen versorgt werden, müssen regelmäßig nachweisen, dass die Versorgung zu Hause gewährleistet ist. Dieser Nachweis muss von einem Pflegedienst ausgestellt werden. Hierzu dienen die Beratungen, welche von uns aktuell auch noch in anderen Gemeinden als Prien und Rimsting erbracht werden. Ich sage „noch“, weil hier der Fachkräftemangel ganz besonders zu tragen kommt, da berechtigterweise nur diese befähigt sind diese Leistung zu erbringen.

Frage: Welche Voraussetzungen brauchen Leute, die bei Ihnen mithelfen wollen?

Besonders wichtig ist ein hohes Maß an Empathie, Offenheit und Zuverlässigkeit. Da wir Pflegebedürftige in ihrer häuslichen Umgebung in sehr persönlichen und intimen Bereichen unterstützen, ist Wertfreiheit aber auch ein gewisses Maß an Abgrenzungsfähigkeit erforderlich. Sonst besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter zu viele Eindrücke mit nach Hause nehmen und ausbrennen. Bezüglich dieser Fähigkeiten unterstützen wir uns Team jedoch gegenseitig. Als Leitung achte ich darauf, ob Belastungen erkennbar werden. Mitarbeitende sollten keine Berührungsängste haben, gut und gerne Autofahren sowie teamfähig sein. Gute Kommunikationsfähigkeit ist ebenfalls eine Schlüsselkompetenz der Pflege.

Frage: Gibt es wie in vielen Bereichen auch bei Ihnen einen Personalnotstand?

Ja, absolut – das ist eines der größten Probleme. Dabei könnten, laut einer Hochrechnung der Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ bis zu 170.343 Vollzeitstellen wiederbesetzt werden, wenn sich die Arbeitsbedingungen ändern würden.  Gerade in der ambulanten Pflege sind die Bedingungen für Pflegepersonal sehr gut. Wir arbeiten zu familienfreundlichen Zeiten ab 7:00/7:30 Uhr mit gestaltbarem Arbeitsende und nachmittags je nach Patientenstand 16:00-19:00. Damit können insbesondere Eltern bei uns gute Bedingungen finden, die zusätzlich individuell gestaltet werden können. Die Versorgung in der ambulanten Pflege hat sich die letzten Jahre sehr verändert und im Vergleich zu früher überproportional verbessert: Wir setzen bei jedem Patienten erforderliche Hilfsmittel ein und die Strukturen haben sich gewandelt. Die Arbeitsbedingungen sind auch aufgrund dieser Veränderungen sehr angenehm und im Vergleich zur stationären Versorgung wesentlich ruhiger, da die Pflegekraft ungestört den einen Menschen, bei dem sie gerade ist, versorgen kann und ihm all ihre Aufmerksamkeit schenkt.

Frage: Was trägt zentral zur Finanzierung bei?

Prinzipiell sollten das die Vergütungen der Kranken- und Pflegekassen sein. Aufgrund der erfreulich hohen Tarifabschlüsse für unsere Mitarbeiter gibt es diesbezüglich jedoch eine klare Schieflage. Die Anpassung der Vergütungen, auf deren Basis wir unsere Leistungen abrechnen, fangen die Lohnerhöhungen nicht auf. Hinzu kommt die Inflation, die sich einerseits direkt auf unsere Ausgaben niederschlägt und anderseits Pflegeempfänger/Angehörige nötigt ihre Zuzahlungen gering zu halten.  Fakt ist leider, dass die Pflegeversicherung nur als Teilkaskoversicherung angelegt ist und dem ursprünglichen Gedanken der Entlastung der Sozialkassen schon lange nicht mehr gerecht wird. Das Pflegegeld, beziehungsweise die Beträge für Sachleistungen, wurden bei weitem nicht im erforderlichen Maß angepasst. Hinzu kommt eine sogenannte Ausbildungsumlage, die prozentual von einer staatlich beauftragten Stelle jährlich vorgegeben wird. Diesen Prozentsatz müssen Pflegedienste über ihre Rechnungen einholen und abführen, damit diese Beträge für die neustrukturierte generalistische Pflegeausbildung verwendet werden. All dies belastet Familien mit zu pflegenden Angehörigen in hohem Maße.

Frage: Zuletzt hatten Sie sich einem Prüfstand für Mitarbeiter beteiligt – wie ging das vonstatten?

Hierbei handelt es sich um das Projekt „Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege“ – kurz: GAP – der Pflegebevollmächtigen der Bundesregierung, Claudia Moll. Hierzu erfolgt zunächst eine Standortbestimmung der Einrichtung durch eine anonyme Mitarbeiterbefragung, welche dann von der Projektstelle der Bundesregierung digital ausgewertet wird. Anhand dieses Ergebnisses wird deutlich an welcher Stelle Verbesserungsbedarf besteht. Im Anschluss wählt die externe Projektleitung in Zusammenarbeit mit der Einrichtung einen oder zwei von 25 Leitfäden des Projektes aus, die dann umgesetzt werden.  Die Leitfäden befassen sich mit Themen wie: Arbeitszeitmanagement, Übergabe, Kommunikation, Urlaubsplanung, Überstunden, Pausen, Fehlerkultur, Einarbeitung, Kinderbetreuung u.v.m. Erfreulicherweise hat die Mitarbeiterbefragung an nahezu allen Stellen ergeben, dass unsere Arbeitsbedingungen sehr gut sind. Damit blieb als einziger zu bearbeitender Leitfaden ein fachlich herausforderndes Thema übrig: Der Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen.

Frage: Sie selbst stellten sich schon mehrfach den Fortbildungen, was war es zuletzt ?

Zuletzt habe ich meinen Bachelor in Pflegemanagement abgeschlossen und zeitgleich die Ausbildung zum Coach im Projekt der Bundesregierung „Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege“ absolviert.

Frage: Welche Wünsche haben Sie für die Gesellschaft und Zukunft?

Mein großer Wunsch ist, dass unsere Gesellschaft als Gesamtheit wieder mehr die Verantwortung für unsere Senioren und Kranken trägt. Aktuell werden 4,4 Millionen Familien damit sehr alleine gelassen: finanziell, emotional und sozial. Angehörige übernehmen die Pflege oft bis sie selbst nicht mehr können und psychisch oder physisch erkranken. Das ist in einer sozialen Gesellschaft ein Missstand. Die Ausbildungskosten für das neue Berufsbild werden auf diese Familien teilweise übertragen. Dies sollte von entsprechenden Stellen geprüft werden.  Für die Zukunft der ambulanten Pflege und Versorgung wünsche ich mir, dass dem Slogan „Ambulant vor Stationär“ entsprechende Finanzierungen folgen, damit die ambulante Pflege auch zukunftsfähig ist! Aktuell melden viele Einrichtungen Insolvenz an. Der Wunsch von mindestens 95% der Senioren ist zuhause versorgt zu werden und dort auch zu sterben – diesem Wunsch sollte eine soziale Gemeinschaft Rechnung tragen, da es uns alle einmal betrifft!

Interview und Foto: Hötzelsperger – I: 1. Reihe: Beate Bolz, Sandra Stitzinger, Christine Hamberger, Titanella Kurfürst, Melanie Wiegandt, Claudia Stützle, Jasmin Pertl , Andrea Schleicher 2. Reihe: Melanie Paul-Böhme, Jennifer Teschner, Anita Pozder, Cornelia Jahn, Fabian Schweinberger.

II: Beate Bolz, Geschäftsführerin der Ökumenischen Sozialstation in Prien a. Chiemsee

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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