Streuobstwiesen gehören nach den Almwiesen zu den artenreichsten Landschaften in Mitteleuropa mit bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten. Zum Erhalt dieser wertvollen von bäuerlicher Hand geschaffenen Kulturlandschaft bedarf es der Pflege. Und dafür werden auf den Familienhöfe der Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land Tipps von Generation zu Generation weitergegeben. Beim wichtigen Erhaltungsschnitt, der idealer Weise im Spätwinter bei aktuell abnehmendem Mond durchgeführt wird, werden auch die Misteln konsequent entfernt. Als Halbschmarotzer schwächen sie die Vitalität der Bäume und würden sonst den Ertrag bei der Obsternte schmälern.
Während rund um den Bodensee, in Franken oder entlang der Landkreise von Main und Rhein der erwerbsmäßige Obstanbau beheimatet ist, spielt er in der oberbayerischen Alpenregion – zwischen Zugspitze und Watzmann aufgrund des dort vorherrschenden raueren Klimas – nur eine untergeordnete Rolle. Ab einer Höhe von ca. 450 m spricht man im Obstbau von Höhenlagen. Von Norden nach Süden steigen die Niederschlagsmengen, aber auch die Sonnenscheinzeiten erheblich an. Im gebirgigen Süden der Landkreise werden bis zu 2000 mm Jahresniederschlag gemessen – in Teisendorf im Berchtesgadener Land waren es 2021 insgesamt 1298 mm. Das Besondere: Sonnenverwöhnt, aber eine nur kurze Vegetationsperiode, häufige Unwetterereignisse und besonders nachteilig, die oftmals auftretenden späten Fröste, kennzeichnen die Bedingungen, denen die Obstbäume in der Alpenregion ausgesetzt sind. Diese besonders harten klimatischen Bedingungen sind die Ursachen, warum man in der Region zwischen Watzmann und Zugspitze kaum Obstplantagen, dafür aber weitläufige Streuobstlandschaften, insbesondere um die Hofstellen der bäuerlichen landwirtschaftlichen Betriebe herum, vorfindet. Die Obstbäume dienen auch heute noch vielen Milchbauern der Molkerei Berchtesgadener Land zur Selbstversorgung. Dort wo sie stehen, ist es jetzt Zeit für die Pflege.
Obstbaumschnitt: zum richtigen Zeitpunkt
Entsprechend den Vorgaben im Naturschutzgesetz sind starke Rückschnitte in der Vogelbrutzeit vom 1. März bis 30 September nicht erlaubt. Zudem ist Obstbäume schneiden eine typischen Winterarbeit. Denn der Winter, speziell der Spätwinter – also die Monate Januar und Februar – sind die klassischen Schnittzeiten für Obstbäume. Dann werden auch Misteln konsequent entfernt. Der Baum zieht während der Vegetationsruhe, also im unbelaubten Zustand, seine Säfte und Energie in Stamm und Wurzeln zurück. Somit wird dem Baum durch Astentnahme keine Energie entzogen. Sobald der Baum im März austreibt, beginnt die Heilung der Schnittwunden. Neben der Jahreszeit berücksichtigen viele Landwirt:innen die Mondphasen bei der Waldarbeit ebenso wie für die Obstbaumpflege. Ideal erfolgen diese Arbeiten bei abnehmendem Mond, also in der Zeit nach dem Vollmond. Das berücksichtigt auch Bio-Naturlandbauer Josef Ramstetter aus Teisendorf: „Die Kräfte der Pflanzen schwinden, die Wurzeln werden kraftvoller, da sich die Pflanzensäfte im Wurzelbereich sammeln. Das ist die beste Zeit für das Schlagen von Holz z.B. für Bauzwecke, aber auch für den Erhaltungsschnitt von unseren Obstbäumen.“ Schon am elterlichen Betrieb hatte er seinem Vater beim Baumschneiden oft geholfen. Heute steigt er in den Baum und sein Schwiegervater sagt an, wo der Baum noch mehr Licht braucht oder Wassertriebe entfernt werden müssen. Denn wenn man im Baum steht, sieht man das oft nicht so gut. Wie bei vielen Arbeiten am Bauernhof hilft auch bei der Baumpflege die ganze Familie zusammen und auch der Jüngste packt schon mit an.
Wasserreiser: Starker Schnitt fördert starkes Triebwachstum
Einen guten Schnitt erkennt man erst an der Reaktion des Baums im Sommer. Wird zu wenig entfernt, gelangt nicht genug Licht in die Krone, was die Erntequalität verschlechtert und das Auftreten von Pilzkrankheiten fördert. Wird zu viel geschnitten, reagiert der Baum mit starkem Wachstum, im Extremfall mit unkontrolliertem Wachstum in Form von schnellwachsenden, senkrechten Trieben; den sogenannten Wasserreisern. Werden diese jedes Jahr im Frühjahr entfernt, verschärft sich das Problem nur weiter. Kreisgartenfachberater Sepp Stein empfiehlt den Sommerschnitt in den Monaten Juli-August als Ausweg aus der Wasserreiserspirale: „Zum einen wird dem Baum die Energie, die in den Trieben steckt genommen, was weiteren starkem Austrieb entgegenwirkt. Zum anderen macht man sich dabei zunutze, dass der Baum bis Johanni (21. Juni) auf Längenwachstum und Neutriebe setzt. Sobald die Nächte länger werden, werden die Triebe als Vorbereitung für den Winter verstärkt und es werden weniger Neutriebe gebildet.“
Misteln: als Halbschmarotzer schwächen sie die Obstbäume
Einzeln schön anzusehen, vermehren sich die Misteln in ungepflegten Streuobstwiesen invasiv. Das liegt an ihrer Art der Vermehrung. Die weißen Beeren enthalten den Samen, der gerne von Vögeln als Futterquelle genutzt wird und mit dem Kot unverdaut in die höchsten Baumwipfel verteilt wird. Sie wachsen langsam aber stetig und können bis zu 70 Jahre alt werden. Die ersten drei Jahre existieren lediglich 2 Blätter, doch ab dann verdoppeln sich diese jährlich. Als Halbschmarotzer saugt die Mistel Wasser und Nährstoffe aus dem Baum ohne Gegenleistung für den Wirt. Das ist möglich, weil die Saugwurzeln die Borke, Bast und schließlich Kambium des Stamms überwinden und bis ins Holz vordringen, um die Leitungsbahnen anzuzapfen. Da sie gleichzeitig mit ihren immergrünen Blättern Photosynthese betreiben zählen Misteln nur zu den Halbschmarotzern. Bei der Entfernung reicht es leider nicht, die Misteln abzuschneiden. Da sich die Wurzeln im Holz befinden, muss der Ast bis ca. 10 cm vor der Mistel abgeschnitten werden. Für Bäume sind Misteln nicht nur unerwünschte Untermieter, sondern entziehen ihnen Nährstoffe und Wasser, schwächen damit die Gesundheit und senken den Obstertrag erheblich. Daher ist die Pflege der Bäume wichtig für deren Gesundheit und Vitalität und langfristig für den Erhalt der Biodiversität.
Hotspot der Biodiversität
Streuobstwiesen gehören nach den Almwiesen zu den artenreichsten Landschaften in Mitteleuropa mit bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten. Das liegt insbesondere an den wertvollen ökologischen Wechselbeziehungen der beiden Ökosysteme Baum und Grünlandbestand. Sie bilden ein kleinflächiges Mosaik aus verschiedensten Lebensräumen: freistehende hochstämmige Bäume bewirken durch die Äste ein unregelmäßiges Muster aus Licht und Schatten auf die Wiese, die ganz unterschiedliche Bodenverhältnisse und damit Bedingungen für ganz unterschiedliche Gräser, Kräuter und Blumen bieten. Der Baumbestand ist meist vielfältig von Frühapfel bis zum Lagerapfel. Neben Apfelbäumen sind Birnen-, aber auch Zwetschgen-, Pflaumen- und Nussbäume ganz gemischt in großen Abständen auf den Flächen vertreten. So halten Streuobstwiesen für Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten vom Frühjahr mit blühenden Bäumen bis in den Herbst mit den dann spätblühenden Wiesenblumen ein vielfältiges Nahrungsangebot bereit. Diese ziehen als Nahrungsangebot wiederum Vögel und Kleinsäuger an, die in den vielzähligen, ansonsten rar gewordenen Astlöchern, Habitate vorfinden.
Dabei hat die Bewirtschaftung der Streuobstwiesen den größten Einfluss auf die Biodiversität. Denn diese werden gegenüber dem Erwerbs-Obstanbau entlang der Alpennordseite von den Landwirt:innen extensiv bewirtschaftet. Das heißt ohne Einsatz von Spritz- und Mineraldünger, die Wiesen werden nur zwei bis drei Mal gemäht oder gerne als Weide für das Jungvieh bzw. die Milchkühe genutzt. Die alten Obstbäume sind dann willkommene Schattenspender an heißen Tagen. Durch die Huftritte werden die Gänge der Wühlmäuse eingetreten, sodass auf beweideten Streuobstwiesen der Wühlmausverbiss ein weitaus kleineres Problem darstellt. Derart extensiv bewirtschaftet, können sich Pflanzen- und Tierwelt ungestört ausbreiten und vermehren. Zu guter Letzt sind solch blühende Streuobstwiesen ein echter Hingucker für alle, Einheimische wie Touristen, die einen Blick für die Natur haben.
Mystische Misteln
Früher schrieb man der Mistel magische Kräfte zu. Zur Keltenzeit wurden sie von Druiden mit goldenen Sicheln geerntet und galten dann als Allheilmittel. Nachweislich enthalten sind Glykoproteine und Viscotoxine, die pharmakologische Wirkung haben. Darum werden sie in der Naturheilkunde z.B. zur Anregung des Immunsystems und zur Behandlung von Arthrose eingesetzt. Verräuchert sollen Mistelzweige stark schützend und segnend wirken und Spannungen neutralisieren. Zur Zeit der Wintersonnwende werden sie als Schmuck an die Haustüre gehängt, wer sich darunter küsst, soll im Folgejahr heiraten.
Bericht und Foto: Molkerei Berchtesgadener Land