Das „museo arte contemporanea“ – Museum für Gegenwartskunst – in Cavalese (Trient) eröffnete am 23. Dezember 2022 eine Ausstellung der beiden Künstler Karl Hartwig Kaltner und Giuliano Orsingher. Kuratiert wurde die Ausstellung vom Direktor des Museums, Elio Vanzo.
Die beiden Künstler, K. H. Kaltner aus Salzburg und G. Orsingher aus dem Val Vanoi im Trentino stammend, beschäftigen sich in ihrem künstlerischen Schaffen schon seit langem mit dem Thema der kollektiven Erinnerung. Beide vergleichen ihre künstlerische Arbeit mit einer archäologischen Grabung an der Psyche des Menschen und sehen die Resultate ihres Tuns als Artefakte, welche hierbei zu Tage treten. So steht auch die aktuelle Ausstellung in Cavalese unter dem Titel „Memoria“.
Da die Ereignisse des Ersten Weltkrieges hier im Trentino tiefe Spuren hinterlassen haben und sowohl in der Landschaft als auch in der Psyche der hier lebenden Menschen immer noch höchst präsent sind, verwundert es nicht, dass dieses Thema in der Ausstellung auch dezidiert angesprochen wird.
Im ersten Stock des Museums präsentiert Giuliano Orsingher Kriegsrelikte, metallene Fundstücke, welche er am Gebirgszug des Lagorai gesammelt und in einer sehr stimmigen Art zusammengeführt hat. Das Material sparsam einsetzend gelingt es ihm eine Atmosphäre zu schaffen, welche den einzelnen Fundstücken Raum und Wirkung zugesteht. So befindet sich in einem Raum lediglich der Schuh eines österreichischen Soldaten, den Orsingher nach circa 100 Jahren in einer Ferlskluft im Hochgebirge gefunden hat. Respektvoll präsentiert, ist dies eines der schaurigsten und gleichzeitig berührendsten Stücke der Ausstellung.
Karl Hartwig Kaltner, der schon 2008 das Museum in Cavalese mit einer Einzelausstellung bespielt hat, zeigt im zweiten Stock seine Arbeiten. Seine aktuellen Arbeiten sind von einer starken Materialität gekennzeichnet. Textile Elemente sind in die Leinwände eingearbeitet und lassen eine starke Dreidimensionalität entstehen. So sind in einem großen Triptychon Kleidungsstücke eingearbeitet, welche scheinbare Spuren von Einschüssen aufzeigen. Gleich daneben ein Foto seines Großvaters aus dem Ersten Weltkrieg, wie er am offenen Sarg eines Kriegskameraden steht. In einem weiteren Saal sind Leinwandbilder zu sehen, welche dramatisch entfremdete Landschaften zeigen, wie sie wohl nur ein Krieg hervorbringen kann.
Laut Kaltner ist diese Art von Erinnerung, welche man traumatisch bezeichnen kann und welche sich somit besonders tief in die Psyche des Menschen eingräbt, offensichtlich in der Basisinformation der Menschen gespeichert und kann somit auch weitervererbt werden. Diese über Generationen vererbbare Spur bildet die Basis einer kollektiven Erinnerung. Begleitet von der generationenübergreifenden nichtverbalen Kommunikation wird dies somit zu einer Prägung. Kaltner spannt bei diesen Überlegungen einen Bogen von Oswald Spengler über Mario Erdheim hin bis zu dem Neurologen Eric Kandel.
Wie sehr die schrecklichen Ereignisse des Krieges Spuren in unserem Denken und Empfinden hinterlassen haben und wie weit wir immer noch in den Traumata menschenverachtender Strukturen und Ereignisse verhaftet sind, kann diese Ausstellung aufzeigen.
Die Ausstellung wird bis zum 10. April 2023 zu sehen sein.
Text und Bilder: Carl Maria Drogo aus Trient / Verein Tauriska