Heute undenkbar, damals gängige Praxis: Viele Berghütten entsorgten früher ihre Abfälle in nah gelegenen Rinnen, Dolinen und Felsspalten – auch am Schneibsteinhaus im Nationalpark Berchtesgaden. Bis zur Nationalparkgründung im Jahr 1978 wurden in mehreren Dolinen südwestlich des Hauses rund 25 Tonnen Haushaltsmüll abgelagert. 72 Big Bags voll mit Glasflaschen, Scherben, Konservendosen und weiterem Müll haben Nationalparkmitarbeiter, Almbauern und Unternehmer dort kürzlich gesammelt und fachgerecht entsorgt. Für den aufwändigen Beitrag zum Natur- und Tierschutz hat das Bayerische Umweltministerium Sondermittel zur Verfügung gestellt.
Müll in der Landschaft ist nicht nur unschön anzusehen, er kann auch gefährlich werden: Für Grundwasser, Boden, Vegetation sowie für Nutz- und Wildtiere. In den vergangenen Jahren hatten sich die Jungrinder von Georg Lenz, Almbauer vom Grafenlehen am Königssee, wiederholt an Scherben und rostigem Blech im Umfeld des Schneibsteinhauses verletzt. „Wir haben einige Flächen seit zehn Jahren ausgezäunt, aber es passierte trotzdem immer wieder was. In einem Jahr hatten wir knapp 4.000 Euro Tierarztkosten, so konnte das nicht weitergehen“, resümiert der „Grafei“. Georg Lenz ist froh, dass der Unrat vergangener Zeiten endlich entsorgt ist. Die Menge hat den Unternehmer überrascht: „Mit so viel Dreck hat niemand gerechnet. Es nahm kein Ende, mit jeder Baggerschaufel kamen wieder Scherben und anderer Müll zum Vorschein. Sogar eine Aggregatbatterie, Feuerlöscher, PVC-Beläge und Gitterböden aus Kühlschränken haben wir gefunden. Plastik war nur wenig drin, das gab es damals wohl noch nicht so häufig“. Nationalpark-Revierleiter Tilman Piepenbrink musste mehrfach Big Bags nachordern, am Ende waren es 72 Stück. Ein Big Bag kann mit rund 400 Kilogramm beladen werden. Die Säcke wurden an zwei Tagen mit Unterstützung eines Hubschraubers aus der Doline gehoben, direkt am Schneibsteinhaus auf Anhänger verladen und zur Entsorgung ins Tal gefahren.
„Heute ist das natürlich undenkbar, aber früher war es üblich so“, weiß Stefan Lienbacher, seit 2020 Hüttenwirt am Schneibsteinhaus. Viele Berghütten in den Alpen entsorgten noch bis Ende des 20. Jahrhunderts ihren Haushaltsmüll im direkten Umgriff der Hütte. Erst seit den 1990er Jahren griffen behördliche Vorschriften, wie Müll auf Berghütten fachgerecht zu entsorgen ist – ab 1993 auch am Schneibsteinhaus. Die Müllentsorgung im Gelände reichte dort bis ins Dritte Reich zurück und endete vor Gründung des Nationalparks. Im Laufe der Zeit wechselten die Eigentumsverhältnisse mehrfach und es ist heute nicht mehr möglich, die Ablagerungen einem bestimmten Verursacher zuzuordnen. Am Schneibsteinhaus hat man sich damals bei der Müllentsorgung vor Ort durchaus Mühe gegeben, wie Revierleiter Tilman Piepenbrink berichtet: „80 Prozent der gesamten Müllmenge haben wir aus einer einzigen, großen Doline geholt. Das 30 mal 20 Meter große Loch war in mehreren Lagen verfüllt. Eine Schicht Müll, dann zerhackte Latschen, Steine und Erde, dann wieder Müll und so weiter. Mit den Jahren haben sich die Latschen zersetzt, die Erde wurde ausgewaschen und der Unrat kam wieder an die Oberfläche.“
Drei Wochen lang haben Nationalparkmitarbeiter und Unternehmer sämtlichen Müll gesammelt und entfernt. „Zehn Säcke haben wir direkt mit dem Bagger befüllt. Bei den restlichen 62 Big Bags haben wir jedes einzelne Müllteil in der Hand gehabt“, berichtet Georg Lenz. Ein großer personeller und finanzieller Aufwand, von dem Natur und Almvieh im Nationalpark gleichermaßen profitieren. Eine Sorge des Revierleiters noch vor Beginn der Arbeiten hat sich hingegen nicht bewahrheitet: „Wir haben keine Munition oder andere Gegenstände aus Wehrmachtszeiten gefunden“, zeigt sich Piepenbrink erleichtert. „Dann wäre die Entsorgung deutlich aufwändiger und gefährlicher geworden“.
Im heurigen Almsommer hat Georg Lenz bislang bei keinem Jungrind Schnittverletzungen an den Klauen festgestellt und der „Grafei“ ist guter Dinge, dass das auch in Zukunft so bleibt. „Die Flächen bleiben erstmal ausgezäunt. Nächstes Jahr werden wir einmal mähen und 2026 soll die ehemalige Müllhalde wieder Weidefläche sein.“
Pressemitteilung Nationalparkverwaltung Berchtesgaden