Die Sprache prägt unser Zusammenleben – von Alois Glück, Präsident des Bayerischen Landtags a.D. – Die gegenwärtige und in ihren Auswirkungen allgegenwärtige Corona-Krise ist ein besonderes Beispiel dafür, welche Bedeutung der politisch verantwortlichen Führungskräfte, etwa der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten, dabei die Sprache hat. Was wird vermittelt, welcher Eindruck entsteht bei den Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen. Welche Bedeutung hat die Sprache für die Bereitschaft zur Akzeptanz von Maßnahmen und Beschränkungen bei mir? Ist es eine eindeutige Sprache, die Sachverstand, Kompetenz vermittelt und die Bereitschaft die Verantwortung zu übernehmen. Passen die Worte und die Haltung der betreffenden Person nach unserem Gefühl zusammen? Davon hängt wiederum ab, ob wir zu diesen Personen Vertrauen haben. Die Voraussetzung dafür ist die Glaubwürdigkeit in Sprache und Einstellung. (In der wachsenden Komplexität unserer Welt sind wir auch im Alltag ständig der Vertrauensfrage „ausgeliefert“ – auch wenn es uns meistens nicht bewusst ist.)
Vor allem aber auch bei den Menschen, die von Situationen besonders betroffen sind ist es ganz entscheidend, ob sie sich in ihrer jeweiligen Situation verstanden fühlen. Ob die verantwortlichen Akteure ihre Situation kennen und in ihren Überlegungen und Entscheidungen aufnehmen. Und wiederum: ist es eine kalte Sprache der Analyse und des Managements, oder ist Empathie spürbar? Alle diese Prozesse laufen bei uns ab, ohne dass uns dies in dem Moment bewusst ist. Zu den Kernaufgaben von verantwortungsbewussten Führungskräften gehört in allen Lebensbereichen bei notwendigen Veränderungen die Gründe dafür und die damit verbundenen Konsequenzen verständlich zu vermitteln. Wenn Führungskräfte in solchen Situationen sich primär daran orientieren, wie die Stimmung ist, ist verantwortungsbewusstes Handeln nicht möglich. Auch das können wir in der gegenwärtigen Krise in einigen Ländern in dieser Welt beobachten. Warum sollen wir uns dieser Anstrengung unterziehen?
Zu meinen Schlüsselerlebnissen als Landessekretär der KJB Bayern zählt folgende Begebenheit. Bei einem Seminar für nachwachsende Führungskräfte sagte der Referent: „Vor wichtigen Gesprächen und Verhandlungen sollten Sie sich auf den Stuhl des Gesprächspartners setzen. In welcher Situation ist er, was sind seine Interessen, wie würde ich an seiner Stelle handeln?“ Ja, je mehr sich dieser Mensch mit seinen Gedanken, Gefühlen und Interessen ernst genommen fühlt, umso mehr wird er auch bereit sein sich auf meine Argumente einzulassen. Gewandte Rhetorik, trickreiche Gesprächsführung und Argumentationsmuster reichen dafür nicht aus. Das gilt ganz besonders, wenn es darum geht, zu einem gemeinsamen Ergebnis und einer gemeinsamen Position zu kommen – oder wenigstens Akzeptanz für meine Position und mein Tun. Die Schlüsselfrage ist in solchen Situationen: Wie kann ich Brücken bauen, dass die Veränderung der Position ohne „Gesichtsverlust“ möglich ist.
Die Bereitschaft zum Zuhören ist die Voraussetzung für die Chance zur Verständigung! Diese Bereitschaft war meine Erwartung, mein Appell an alle Teilnehmer bei dem Projekt Moderation Runder Tisch Artenvielfalt im Zusammenhang mit dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“. Daraus sind Verständigungen erwachsen, die vorher nicht denkbar waren. Ein besonders alarmierendes Signal für die Entwicklungen in unserer Gesellschaft ist die Sprache des Hasses, der Ausgrenzung, der Herabwürdigung von Menschen in den Foren im Internet. Aber auch in Leserbriefen in den Tageszeitungen gibt es oft Formulierungen, Bewertungen, Unterstellungen von Motiven, die mich erschrecken. Ich bin in großer Sorge über diese Entwicklungen, zumal mir aus den Auseinandersetzungen um die Kernenergie in Erinnerung ist, wie sich der Prozess der Gewalt immer in drei Schritten mit Eigendynamik entwickelte. Aggressive Sprache mit dem Muster gut oder böse – Gewalt gegen Sachen/Sachbeschädigung – Gewalt gegen Personen. Die schlimmsten Auswirkungen haben wir dann bei den Auseinandersetzungen in Wackersdorf und in der Oberpfalz um die Wiederaufbereitungsanlage für Brennstäbe aus Kernkraftwerken erlebt. Aggressive Sprache führt früher oder später zum Fanatismus. Mit diesem „Kampf für das Gute“ wird dann die Gewaltanwendung entsprechend moralisch legitimiert. Das gilt aber auch ganz besonders für religiös geprägten Fanatismus – nicht nur in besonderen Ausprägungen innerhalb des Islam.
Weltweit, im politischen Spektrum von Rechtsextrem und Linksextrem, haben wir eine dramatische Konjunktur autoritärer Populisten. Ihr Hauptinstrument ist die Sprache, die Sprache des Hasses, der Bedrohungsszenarien, der Abwertung und Ausgrenzung von Menschen. Die neue Konjunktur der verschiedenen Ausprägungen des Nationalismus. Die Folge: Die Zukunft unserer Demokratien ist kein gesicherter Besitzstand. Für die notwendige geistige Auseinandersetzung brauchen wir eine entsprechende Qualität der Argumente und eine entsprechende kompetente und differenzierte Sprache. Pauschale Verurteilungen und aggressive Argumente fördern nur die ohnehin gewünschte Opferrolle.
Diese gefährlichen Entwicklungen in unserer Gesellschaft sind ein wichtiges Thema im ganzen Spektrum der Jugend-und Erwachsenenbildung.
Beitrag von Alois Glück – Foto: Hötzelsperger