Der Berggasthof Streichen ist weit über die Grenzen des Chiemgaus bekannt. Wer ihn einmal besucht hat, den wundert es nicht¸ denn es ist ein ganz besonderer Platz dort oben auf 800 Meter Höhe mit atemberaubendem Blick auf die umliegenden Berge Geigelstein, Kampenwand und Hochgern sowie die Bergketten des Wilden Kaisers in Tirol.
Es ist das Zusammenspiel der außergewöhnlichen und geschichtsträchtigen St. Servatiuskirche mit dem darunterliegenden Mesnerhaus, der heutige Berggasthof Streichen. Seit Jahrhunderten pilgern die Menschen zu der kleinen Kirche und stärkten sich im Mesnerhaus, dem heutigen Berggasthof. Seit 80 Jahren bewirtschaftete die Familie Strohmayer in zwei Generationen den Gasthof, bis vor zwei Jahren der bekannte Wirt, Franz Strohmayer, plötzlich verstarb. Seine Geschwister Hans und Anneliese konnten den Gasthof nicht allein weiterführen. Durch private Initiativen, besonders von Altbürgermeister Fritz Irlacher, und Gründung der Schlechinger „Streichenfreunde“ ergab sich der glückliche Umstand, dass der Gasthof im Juli 2021 von zwei Stiftungen gemeinsam gekauft wurde, die Familienstiftung Yvonne und Thomas Wilde und Kultur Erbe Bayern. Kultur Erbe Bayern hat sich auf die Fahne geschrieben „sich gemeinschaftlich für starke Orte einzusetzen, die auch heute noch helfen können, das Kostbare und Unverwechselbare der bayerischen Kultur für die Zukunft nutzbar zu machen“. Da passte der fast 600 Jahre alte Gasthof gut ins Portfolio. Die Familie der Stiftung Wilde lebt seit fast 30 Jahren in Schleching und hat damit einen tiefen Bezug zu dem besonderen Ort. Im Gespräch mit Sybilla Wunderlich erzählen Bernhard Kellner (Stiftungsvorstand Kultur Erbe Bayern) und Paul Mößner (Architekt und Mitglied des Vorstands) was in den letzten rund eineinhalb Jahren nach dem Kauf passiert ist und wie die weiteren Pläne für den Berggasthof aussehen. Und warum es möglicherweise den Anschein für Außenstehende hat, dass „nichts“ vorangeht.
Das Leitbild „alles wie immer – nur neu“
Von Anfang an waren sich alle Beteiligten einig, dass der Berggasthof Streichen genauso erhalten bleiben soll, das Leitbild lautet „alles wie immer – nur neu“. Paul Mößner und Bernhard Kellner betonen, wie wichtig es für beide Stiftungen ist, dass die Seele des Berggasthofes weiter lebt. Schnell wurde klar, dass die Verwirklichung dieses Wunsches nur gemeinsam mit allen Beteiligten funktionieren wird. Die Stiftungen sehen den Schlüssel zum Erfolg im „miteinander“. Um den Weg einer umfassenden und nachhaltigen Sanierung zu gehen, bedurfte es vieler gemeinsamer Diskussionen. Die „Streichenfreunde“, der Beirat und die beiden Stiftungen setzten sich immer wieder zusammen, um den bestmöglichen gangbaren Weg zu finden und auch der Verantwortung der Familie Strohmayer gegenüber gerecht zu werden. Anneliese Laute, geborene Strohmayer, betreut und pflegt das Haus seit dem Tod ihres Bruders. Alle Beteiligten sind sehr froh darüber, dass der Gasthof -bis die Sanierungen anfangen- in guten Händen ist. Bernhard Kellner und Paul Mößner erzählen, wie ihnen in den vielen Zusammenkünften immer klarer wurde, dass sie nicht nur einen historischen Berggasthof gekauft haben, sondern einen „Ort mit Geschichte und Seele“. Ihr Ansporn ist es, die Qualität des „alten“ Streichen Gasthofes zu transformieren in den „neuen“ Streichen aber mit dem gleichen familiären Charakter.
Oberstes Ziel ist die Nachhaltigkeit
Eines der obersten Ziele soll die Nachhaltigkeit sein. Gemeinsam wurde eine umfassende Sanierung beschlossen, die nicht nur für die nächsten zehn Jahre hält, sondern auch für die nächsten einhundert Jahre. Bei genauerem Hinsehen, lag die Tücke im Detail, Probleme wie Brandschutz, Fluchtwege, Personalräume, Betreiberwechsel, Sanitäranlagen und die Auflagen, die für einen modernen Betrieb notwendig sind, zeigten sich. Sie werden in Abstimmung mit dem Landratsamt Traunstein und dem Amt für Denkmalschutz geklärt. In der Zeit nach dem Kauf des Berggasthofes hat sich die geopolitische Lage in der Welt verändert und die Eigentümer suchten –besonders bei der Energieversorgung- einen Weg zu mehr Autarkie. Aktuell wird das Anwesen mit einer Stromheizung betrieben, das soll durch eine Hackschnitzelheizung mit Holz aus dem eigenen Wald ersetzt werden. Möglichkeiten für eine Wärmedämmung werden eruiert. Im historischen Teil des Gebäudes wird grundlegend nichts geändert, aber im hinteren Bereich (Anbau aus den 50er Jahren und auch denkmalgeschützt) muss dringend saniert werden, da dort Holzschädlinge festgestellt wurden. Nötig ist eine neue moderne Küche, die den heutigen gesetzlichen Vorschriften gerecht wird, mit einem Speisen- und Getränke-Angebot, das auf das eines klassischen Berggasthofes ausgerichtet ist. Die Gästezimmer werden renoviert und im einfachen Stil eines Berggasthofes ausgestattet. Die Toilettenanlagen –es ist auch ein Behinderten-WC vorgesehen- für den Gastbetrieb auf der Terrasse und im Haus werden in den hinteren Teil des Gebäudes verlegt. Dort sind auch die gesetzlich vorgeschriebenen Personalräume vorgesehen. Es gibt die Idee, einen weiteren Gastraum zu ermöglichen. Die Almhütte soll winterfest gemacht werden.
Wann geht es los?
Die Pläne für die nachhaltige und umfangreiche Sanierung werden derzeit in Abstimmung mit den zuständigen Ämtern erarbeitet. Der Beginn der Bauarbeiten hängt von den Genehmigungen, vom Wetter und von den Kapazitäten der ausführenden Firmen ab. Erste Ausschreibungen sind für Frühjahr 2023 geplant. Für die Angebotsabgabe sollen insbesondere regionale Handwerker und Betriebe angefragt werden. Wenn die drei Meilensteine „Genehmigungen, Ausschreibungen und Kapazitäten“ genommen sind, ist es das Ziel, im späten Frühjahr 2023 die ersten Handwerker auf der Baustelle zu begrüßen. Die Eröffnung ist für 2024 geplant. Während der Bauphase soll der Gedanke zum Erhalt des Berggasthofes lebendig gehalten werden mit einem guten Miteinander und kleineren Events, wie zum Beispiel Benefiz-Veranstaltungen. Die Baumaßnahmen werden über Zuschüsse, unter anderem durch das Amt für ländliche Entwicklung, aber vor allem durch individuelle Spenden und weitere Stiftungen finanziert. Paul Mößmer und Bernhard Kellner erzählen, dass sie stetig daran arbeiten, weitere Spenden sowie Förderungen zu erhalten und Stiftungen zu gewinnen, um den nötigen Eigenanteil an diesem Projekt zu refinanzieren. Begeistert erzählen sie, dass die aktuelle Spendensumme, vor allem durch das Engagement der Bevölkerung im Achental und überregional, sowie Spenden von Unternehmen und Stiftungen aus der Region im Moment 380.000 Euro beträgt. Sie sahen darin, wieviel Herzblut in dem Projekt steckt, betonten aber, dass noch dringend weitere Spenden benötigt werden. So könnten zum Beispiel einzelne Gewerke finanziert werden oder Zuwendungen für die Realisierung des gesamten Projektes. Wichtig war beiden Stiftungen und allen Akteuren, dass hier von Beginn an ein weltoffenes Miteinander praktiziert wird, Freunde werden willkommen geheißen und der gute Geist, der Spirit, der über diesem besonderen Ensemble –Kirche und Berggasthof- schwebt, soll als offener Ort für alle erhalten bleiben. Ein Ort für „Leib und Seele“, bei dem die Besucher ein Erlebnis geschenkt bekommen, das sie in ihren Alltag mitnehmen können.
Text Sybilla Wunderlich – Fotos Uwe Wunderlich – Von links Thomas und Yvonne Wilde, Paul Mößmer, Bernhard Kellner – Ensemble St. Servatius Kirche und Berggasthof Streichen