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100 Jahre Paneuropa in Nürnberg, Böhmen und Straßburg

Im Rahmen der 48. Paneuropa-Tage der Paneuropa-Union Deutschland beging diese älteste europäische Einigungsbewegung ihr 100jähriges Bestehen. Dieser viertägige „Kongreß auf Rädern“ fand grenzüberschreitend in Nürnberg, in Ronsperg (Poběžovice), dem böhmischen Heimatort von Richard Graf Coudenhove-Kalergi, der 1922 die Paneuropa-Union gründete, sowie in den Gebäuden von Europaparlament und Europarat in Straßburg statt.

Beim Festakt im historischen Rathaussaal von Nürnberg würdigte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die überparteiliche Paneuropa-Union als „erste und stärkste Friedensbewegung, die wir haben“. Das Gedankengut, das sie hervorgebracht habe, sei aktueller denn je: „Europa wird nicht in erster Linie über Geld definiert, sondern baut auf dem Christentum und der Aufklärung auf. Es hat religiöse Wurzeln und verficht die Universalität der Menschenrechte.“ Die Paneuropa-Idee sei somit „ein Angebot an die Welt in Zeiten, wo die Demokratien wackeln.“ Mit Blick auf die anstehende EU-Reform meinte Söder: „Europa muß sich nach innen stabilisieren und nach außen Strahlkraft behalten, und dies vor dem Hintergrund eines nicht provozierten, völkerrechtswidrigen Angriffskrieges, der nicht nur die Ukraine, sondern auch unsere Freiheit treffen soll. Rußland darf diesen Krieg nicht gewinnen – die Ukraine muß ihn gewinnen.“ Bayerns Regierungschef betonte, er unterstütze den Einsatz der Paneuropa-Union für den Westlichen Balkan, der bei den Paneuropa-Tagen mit zahlreichen Delegationen vertreten war: „Diese Region gehört zu uns und muß bald integriert werden. Nordmazedonien und Albanien etwa brauchen eine klare Perspektive; und Serbien muß sich entscheiden, ob es zu uns gehören will oder nicht.“ Viel Lob zollte Söder der grenzüberschreitenden Paneuropa-Arbeit und dem Präsidenten der Paneuropa-Union Deutschland, Bernd Posselt, der für die Ziele der Bewegung „mit Entschlossenheit, Sturheit und Charme“ eintrete: „Ihr seid ein Energy-Drink für die Zukunft!“

Keine Illusionen über Rußland

Auf besondere Aufmerksamkeit stieß die Ansprache des tschechischen Europaministers Mikuláš Bek, weil Böhmen vor 100 Jahren in Gestalt von Richard Coudenhove-Kalergi die Paneuropa-Union hervorgebracht hat und von 1. Juli bis Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft ausübt. Bek forderte ebenfalls, die Staaten des Westbalkan in die EU aufzunehmen, und unterstrich die Bedeutsamkeit des EU-Kandidatenstatus der Ukraine: „Wir sind entschieden pro-ukrainisch und Advokaten einer EU-Mitgliedschaft!“ Seine Regierung werde weniger mit Putin telefonieren als „mit den Dissidenten von der schmalen demokratischen Minderheit in Moskau“. Man dürfe bezüglich Rußland keine Illusionen haben.

Der Minister umriß in seiner in fließendem Deutsch frei gehaltenen Rede die zentralen Ziele seines Landes beim EU-Vorsitz. Dieser stehe unter dem von Václav Havel geprägten Motto „Europa als Aufgabe“. Prag wolle vor allem fünf Schwerpunkte setzen: Lösung der mit dem Krieg in der Ukraine zusammenhängenden Flüchtlingskrise und hoffentlich Nachkriegsrekonstruktion des Landes; Energieversorgung der EU und Befreiung von Abhängigkeiten; Erhöhung der Verteidigungskapazitäten Europas, militärisch und bezüglich der Cyber-Sicherheit; strategische Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft bei Versorgungsketten; Festigung der demokratischen Institutionen. Da sich Europa in einem seit Jahrzehnten nicht mehr dagewesenen Kampf verteidigen müsse, brauche es eine Stärkung im Bereich der Werte, etwa durch gemeinsame Aufarbeitung der totalitären Geschichte: „Wir müssen überlegen, wie wir das gemeinsame Gedächtnis nutzen können als Schild gegen die Gefahren in der heutigen Welt.“
Der Präsident der Paneuropa-Union Deutschland, Bernd Posselt, unterstrich, die Paneuropa-Union sei nicht nur eine Friedens-, sondern auch eine Freiheitsbewegung und daher nicht auf wehrlose Weise pazifistisch, sondern Verfechterin einer europaweiten wehrhaften Demokratie, die sich gegen Krieg und Totalitarismus verteidigen könne. Die Paneuropa-Idee sei von Anfang an eine geopolitische und eine kulturelle gewesen. Geopolitisch gehe es darum, alle Völker und Volksgruppen des Kontinents, von den Grenzen Rußlands bis zum Atlantik, in „einer Art großen Schweiz zu einer eigenständigen Kraft zusammenzufassen.“ Um dies zu erreichen, sei das gemeinsame kulturelle Fundament unverzichtbar: „Ohne Europäer gibt es kein Europa, keine europäische Gemeinschaft der Völker, der Volksgruppen und der Bürger.“ Christlicher Glaube, römisches Recht und griechische Philosophie hätten die europäische Kultur geformt, die aber nicht in totem Traditionalismus erstarren dürfe: „Wir brauchen ein lebendiges Christentum in Europa und sollen nach biblischem Auftrag Salz der Erde sein.“

Posselt nannte als größte aktuelle Herausforderung für die Paneuropa-Union die Eurasische Bewegung Wladimir Putins und seines Ideologen Alexander Dugin, die ein von Moskau dominiertes Zwangsgebilde von Wladiwostok bis Lissabon errichten wollten, wie sie auch jüngst wieder mehrfach öffentlich bekundet hätten. Man solle dies endlich ernst nehmen: „Wir werden eine vernünftige Nachbarschaft zwischen Europa und Rußland erst dann haben, wenn Putin und sein Regime gestürzt sind und in Rußland ein grundlegender Systemwandel stattgefunden hat.“
EU-Bürgerinitiative „Rettet die Schengen-Freiheit!“

Neben ihrer 100 Jahre alten geopolitischen und kulturellen Funktion habe die Paneuropa-Union spätestens seit der Gründung der Europäischen Parlamentarier-Union 1947 – ebenfalls durch Coudenhove-Kalergi – auch die Aufgabe, Europa zu demokratisieren und zu parlamentarisieren. Deshalb unterstütze sie das Europaparlament bei seiner Forderung nach einem Konvent zur Reform der Europäischen Verträge und wehre sich gegen jede Form von Renationalisierung: „Wir werden die schleichende Wiedereinführung der Kontrollen an den EU-Binnengrenzen, die etwa in den Zügen aus Österreich und der Tschechischen Republik nach Deutschland ein skandalöses Ausmaß angenommen hat, nicht hinnehmen. Damit wird eine der wichtigsten europäischen Errungenschaften entkernt. Wird dies nicht gestoppt, werden wir eine Europäische Bürgerinitiative gemäß EU-Vertrag auf den Weg bringen, unter dem Motto ‚Rettet die Schengen-Freiheit!’’

Der internationale Paneuropa-Präsident Alain Terrenoire aus Paris warnte davor, sich in der Abwehr der russischen Aggression und des chinesischen Dominanzstrebens ausschließlich auf USA und NATO zu verlassen. Schon bei den Wahlen im Herbst könnten die Vereinigten Staaten wieder in Richtung Trump kippen, und zwei Jahre später ein anderer Präsident eine völlig andere Richtung einschlagen. Der Aufbau einer handlungsfähigen Weltmacht Europa müsse Teil eines „globalen geopolitischen Transfers“ sein. Dazu gehöre, die verteidigungspolitische Zersplitterung in 27 getrennte Militärbudgets der EU-Mitgliedstaaten zu überwinden. Die Europäer dürften nicht in der geopolitischen Rivalität zwischen Washington und Peking zerrieben werden, die sich noch dazu durch das jetzige chinesisch-russische Bündnis verschärfe. Terrenoire erinnerte an seinen Vor-Vorgänger, den Paneuropa-Gründer Richard Graf Coudenhove-Kalergi, der vor 100 Jahren geschrieben habe, daß es an den Europäern selbst liege, ob es ihnen gelinge, sich zu vereinigen, oder nicht.

Der Nürnberger Oberbürgermeister Marcus König begrüßte die Gäste aus 18 Nationen in seinem Rathaussaal aus dem 14. Jahrhundert, in dem 1649 nach dem Dreißigjährigen Krieg das Friedensmahl abgehalten worden sei. Auch die Paneuropa-Union sei ein Friedensprojekt: Die Feindschaft zwischen den Nationalstaaten sollte überwunden und dauerhafter Friede hergestellt werden. König erinnerte auch an den verstorbenen Paneuropa-Präsidenten Otto von Habsburg, der oft in diesem Saal gesprochen habe. „Als Sohn des letzten österreichischen Kaisers stand er wie kein anderer für ein geeintes Europa auf einem festen Wertefundament.“ Die Kontakte dieses herausragenden Europaabgeordneten über den Eisernen Vorhang hinweg seien mit dem legendären Paneuropa-Picknick am Beginn des epochalen Umbruchs von 1989 gestanden. „Otto von Habsburg hatte damals schon die Vision, die Staaten des östlichen Mitteleuropa und Osteuropa als Teil der EU zu sehen.“ In diesem Zusammenhang erschütterten heute in Nürnberg, wo man im Herzen Europas die Vorteile der EU genieße, „die Bilder aus unserer ukrainischen Partnerstandt Charkiv uns tief.“

Die sehr aktive und starke Paneuropa-Union Ukraine war anders als bei früheren Kongressen an der Entsendung ihrer Führung durch den Krieg gehindert, meldete sich aber im Rathaussaal dadurch zu Wort, daß die Sängerin Oksana Kalinchuk zuerst die ukrainische Nationalhymne und dann ein Lied aus dem mitteleuropäischen Kleineuropa der Habsburger-Monarchie, zu der die Westukraine bis 1918 gehörte, vortrug.

Bastion von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte ein schriftliches Grußwort gesandt, in dem sie die Paneuropa-Union eine „ganz besondere europäische Vereinigung“ nannte, die als erste eine demokratische Föderation aller europäischen Staaten gefordert und damit die Ideen von Europarat und Europaparlament in der EU verankert habe. Diese müsse eine Bastion von Freiheit und Rechtstaatlichkeit sein und wirksam für eine Weltordnung eintreten, in der die Verbindung von Macht und Recht zähle und nicht das Recht des Stärkeren. Die Art der Paneuropa-Union, ihr Jubiläum zu feiern, sage viel aus – „grenzüberschreitend deutsch-tschechisch mit einem Ausklang im Europaparlament in Straßburg.“ Ein weiteres Grußwort übersandte der kroatische Außenminister Gordan Grlić Radman, der auch die Grüße seines Ministerpräsidenten Andrej Plenković überbrachte, der dem Präsidium der Paneuropa-Union Kroatien angehört. Der Außenminister unterstrich sein „persönliches Bekenntnis zu den Grundsätzen der Paneuropa-Union bei der Unterstützung der Ukraine und dem Aufbau eines geeinten Europas“.
Der Festakt wurde umrahmt von der Egerländer Familienmusik Hess und moderiert vom Bundesvorsitzenden der Paneuropa-Jugend Deutschland, Christian Hoferer. Dieser rief dazu auf, den Rückblick „auf die Wegmarken des historischen Erbes unserer Paneuropa-Union als geistiges Fundament für die Zukunft zu nutzen.“ Er verwies auf die wegweisenden Gedanken von Paneuropäern wie den Außenministern Gustav Stresemann in Deutschland und Aristide Briand in Frankreich, Intellektuellen wie Albert Einstein und Stefan Zweig oder jungen Politikern der Zwischenkriegszeit wie der französischen Schriftstellerin Louise Weiss und dem damaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer.

Das erfinderischste Schloß der Welt

Anschließend fuhren die Teilnehmer mit einer Reihe von Bussen nach Ronsperg in Böhmen. Der Ronsperger Bürgermeister Martin Kopecký begrüßte den „Paneuropa-Kongreß auf Rädern“ und präsentierte seine Pläne, Ronsperg durch Restaurierung und Wiederbelebung des Coudenhove-Schlosses wie früher zu einem geistigen Mittelpunkt Europas und des Dialoges zwischen den Kulturen zu machen. Dabei fand er Unterstützung bei dem ehemaligen EU-Direktor und –Botschafter Gerhard Sabathil, dessen Großvater vor dem Zweiten Weltkrieg als Ronsperger Bürgermeister in engem Kontakt mit der Familie Coudenhove-Kalergi stand. Sabathil übermittelte die Glückwünsche der Europa-Gesellschaft Coudenhove-Kalergi aus Wien.

Der Präsident der Tschechischen Paneuropa-Union, Marian Švejda, griff den Vorschlag Kopeckýs auf. Wenn die Familie Coudenhove-Kalergi nicht vertrieben worden wäre, hätte Richard Coudenhove-Kalergi vielleicht die Vorstellungen seines Vaters erfüllt, wie er in einem Brief an seine Schwester schreibe: „Wenn ich genug finanzielle Mittel hätte, würde ich Ronsperg gern in eine Akademie der Künste und Sprachen verwandeln, mit russischen, muslimischen, chinesischen und japanischen Professoren … Ronsperg wäre bald ein Ort der Bildung zwischen Nationen und Konfessionen, und es wäre das erfinderischste Schloß der Welt.“

Die japanische Paneuropäerin Masumi Muraki, Autorin der Biographie von Richard Coudenhoves japanischer Mutter sowie Schöpferin des japanischen Gartens im Schloßpark von Ronsperg, zeigte sich stolz darüber, daß ihre asiatische Heimat in Gestalt des in Tokio geborenen und in der böhmischen Heimat seiner Familie geprägten Paneuropa-Gründers am Anfang der europäischen Einigung gestanden sei.

Der internationale Generalsekretär der Paneuropa-Union und ehemalige Wissenschafts- und Bildungsminister von Kroatien, Prof. Pavo Barišić, faszinierte durch eine Grundsatzrede, in der er die jetzt mit 50 000 Mitwirkenden durchgeführte „Konferenz zur Zukunft Europas“ als „einzigartigen Akt der deliberativen Demokratie“ rühmte. Dieser von der Vizepräsidentin der EU-Kommission und kroatischen Paneuropäerin Dubravka Šuica koordinierte Prozeß müsse jetzt in einem Konvent zur Reform der EU-Verträge fortgesetzt werden.
Zum Abschluß eines Festgottesdienstes in der prachtvollen Ronsperger Kirche weihte der Pilsener Bischof Tomaš Holub zwei Paneuropa-Fahnen, die zwei Tage später in Straßburg von zwei Vertretern der Paneuropa-Jugend, Marlene Wolsky und Louis Kienle, feierlich dem Europaparlament und dem Europarat übergeben werden sollten. Der sommerliche Abend klang mit einem zünftigen Dorffest im Zelt vor der Schloßruine aus, mit den schmissigen Melodien und Liedern der Egerländer Familienmusik Hess bei Gulasch, Gegrilltem und Bier, wie es sich in Böhmen gehört.

Ehrung für Manfred Weber

Bei der festlichen Eröffnung des Kongresses am Vorabend in Nürnberg hatte der deutsche Paneuropa-Präsident Bernd Posselt ein prominentes Paneuropa-Mitglied, den EVP-Fraktions- und Parteivorsitzenden Manfred Weber, mit der Sonderstufe der Paneuropa-Verdienstmedaille ausgezeichnet.

Weber nahm den „100. Geburtstag unserer gemeinsamen Bewegung“ zum Anlaß, einen „konkreten Zeitplan“ für die Fortentwicklung des neu beschlossenen Kandidatenstatus der Ukraine und der Republik Moldau hin zu einem Beitrittsprozeß zu fordern: „Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und sagen, ihr seid schon willkommen, aber wir machen jetzt weiter Business as usual. Wir müssen unsere Versprechen mit Leben erfüllen!“ Es gehe bei Rußlands Krieg gegen die Ukraine „nicht um die NATO oder um angebliche Sicherheitsinteressen, sondern Putin will unsere Ideen nicht. Sein Feldzug ist gegen die Freiheit in der Ukraine, in Belarus, ja sogar im eigenen Land und in ganz Europa gerichtet. Als die Tochter von Alexej Nawalny bei uns im Europaparlament für ihren inhaftierten Vater den Sacharow-Preis annahm, sagte sie uns: ‚Es gibt auch in Rußland junge Menschen, die gerne so leben würden wie ihr.’ Es geht um die Grundidee, und deshalb ist das auch unser Konflikt.“

Der EVP-Chef betonte: „Man kann keine vernünftige EU-Erweiterung durchführen, wenn die EU nicht funktioniert. Deshalb müssen wir in der Außenpolitik das Mehrheitsprinzip durchsetzen und auf dem Weg zu einer Europäischen Verteidigungsunion vorankommen, wie sie die Paneuropa-Union schon vor 100 Jahren vorgeschlagen hat.“ 100 Milliarden für die Bundeswehr seinen zwar gut, „aber mit keinem Euro hat Berlin nachgedacht, was man in den europäischen Strukturen machen könnte.“ Dabei sei doch jedem denkenden Menschen klar, daß Cybersicherheit nur auf europäischer Ebene geschaffen werden könne und daß russische Rakteten aus Königsberg innerhalb weniger Minuten jeden Punkt in Skandinavien oder auch Wien treffen könnten: „National macht es doch gar keinen Sinn mehr, ein Verteidigungssystem zu entwickeln.“ Weber kritisierte „das Klein-Klein des Brüsseler Gipfels zum Thema Westbalkan“ und forderte zügigere Beitrittsverhandlungen dort. Die EU müsse das Subsidiaritätsprinzip respektieren, was aber auch mehr Gemeinsamkeit bedeute, etwa durch Schaffung einer Europäischen Gesundheitsunion. Vor allem aber gelte es „Europa eine Seele zu gönnen“. Er rief dazu auf, „die Vielfalt des Kontinents zu genießen“ und stolz auf dessen christliche Prägung zu sein, „die Orientierung gibt“. Fast jedes europäische Dorf habe in der Mitte eine christliche Kirche, was die Einzigartigkeit unseres Kontinentes ausmache. Unter großem Beifall faßte Weber zusammen: „Es ist einfach schön, Europäer zu sein“, und dankte „den heutigen Bannerträgern der Paneuropa-Idee für ihr Engagement.“

Böhmen, Mutterland Europas

Der Präsident der mitveranstaltenden Tschechischen Paneuropa-Union, Marian Švejda, früher ein Bürgerrechtler gegen den Kommunismus, erinnerte an den ersten Besuch Otto von Habsburgs an der Karlsuniversität kurz nach der Samtenen Revolution, der dort erklärt habe: „Böhmen hat ein Erstgeburtsrecht auf Europa.“ Dieser Idee, die die Studenten zunächst erstaunt habe, spürte Švejda durch die Geschichte nach. Das Gebiet der heutigen Tschechischen Republik sei durch die Geschichte hindurch der Kreuzungspunkt von „Migrationswellen gewesen, die später Europa konstituiert haben“, wie die Kelten und verschiedene germanische und slawische Stämme. Das Königreich Böhmen sei im Mittelalter dabei gewesen, als sich die „Aufteilung der übernationalen Macht in Kaiser- und Papsttum“ herausgebildet habe. Große europäische Herrscherhäuser wie die Přemysliden, aber auch Luxemburger und Habsburger hätten es regiert, Humanisten und Kirchenreformatoren von europäischer Bedeutung dort gewirkt. Am Prager Hof des Königs Georg von Podiebrad habe der Rechtsanalytiker Antonio Marini aus Grenoble den Vertrag zur „Einführung von Frieden unter allen Christen“ entwickelt, der ein Instrumentarium für eine europäische Ordnung mit Stimmengleichheit der Herrscher, einem Parlament mit Gerichtshof, ein Finanzierungssystem und eine gemeinsame Armee vorgeschlagen habe. Wegen der angespannten Position des Königs gegenüber dem Heiligen Stuhl sei dieser Plan nicht zum Tragen gekommen, aber an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhunderts sei die Idee der friedlichen Einigung der europäischen Nationen „in einer verlorenen Domäne am Rande des Böhmerwalds“ im Kopf eines jungen Mannes, Richard Graf Coudenhove-Kalergi, zur Reife gelangt, der vor 100 Jahren die Paneuropa-Union gegründet habe und nach dem Sturz Hitlers endgültig zu einem Bahnbrecher der europäischen Einigung wurde.

Kultureller Höhepunkt der festlichen Eröffnung war eine Musikrevue mit paneuropäischen Texten und Schlagern aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Die Sopranistin Iris-Marie Kotzian präsentierte, begleitet von Martin Dechet auf dem Akkordeon, in verschiedenen europäischen Sprachen einen bunten Strauß von Liedern, unter anderem von Weggefährten Coudenhove-Kalergis wie Franz Lehar und Ralf Benatzky. Die von dem Pädagogen und Kabarettisten Franziskus Posselt ausgewählten und vorgetragenen Texte des Paneuropa-Gründers waren aus heutiger Sicht zum Teil von erschütternder Aktualität.

Der Bundesgeschäftsführer der Paneuropa-Union Deutschland, Johannes Kijas, begrüßte zahlreiche Ehrengäste, unter ihnen die ehemaligen Vizepräsidenten des Europäischen Parlamentes Ingo Friedrich von der CSU und Libor Rouček von der tschechischen Sozialdemokratie, den Mitbegründer von Bündnis 90/Die Grünen und Paneuropäer Milan Horáček, MdB und MdEP a.D., den Ehrenvorsitzenden des Aufsichtsrates der Nürnberg-Versicherung und tschechischen Honorarkonsul Hans-Peter Schmidt sowie Delegationen aus 18 europäischen Ländern.
Am Sonntag Vormittag besuchten die Teilnehmer gemeinsam einen evangelischen Gottesdienst in der für Deutschland und Böhmen historisch gleichermaßen bedeutsamen Sebaldus-Kirche, den Pfarrer Axel Töllner hielt.

Fahnenübergabe in Straßburg

Anschließend fuhr eine internationale Paneuropa-Delegation nach Straßburg ins Europaparlament und zum Europarat, deren Schaffung vor Jahrzehnten von der Paneuropa-Bewegung initiiert wurde. Der Erste Vizepräsident des Europäischen Parlamentes, Othmar Karas aus Wien, empfing die Teilnehmer im Winston-Churchill-Gebäude des Europäischen Parlamentes und zog mit ihnen ins benachbarte Palais de l’Europe, wo der Europarat als älteste europäische Institution seinen Sitz hat und mit einer Büste in der Ahnengalerie an Richard Graf Coudenhove-Kalergi erinnert. Dort übergab die Paneuropa-Jugend die in Ronsperg geweihten Fahnen, die eine Brücke zwischen dem böhmischen Ursprung und der Straßburger Weiterentwicklung der Europäischen Idee schlagen. Bei der Feierstunde, der u.a. diplomatische Vertreter der Niederlande, der Ukraine, des Souveränen Malteserordens, Mexikos und Japans beiwohnten, wurde die visionäre Rede abgespielt, die Coudenhove in Aachen gehalten hatte, wo ihm 1950 als Erstem der Europäische Karlspreis verliehen wurde. Der internationale Paneuropa-Präsident, Alain Terrenoire, und der deutsche, Bernd Posselt, überreichten Karas als „führendem Vorkämpfer einer europäischen Verfassung, wie sie Coudenhove schon vor 100 Jahren vorschlug“, die Sonderstufe der Paneuropa-Verdienstmedaille. Karas dankte den Paneuropäern, daß „Sie nicht müde werden, das Leben Richard Coudenhove-Kalergis, die Geschichte und die Ziele der Paneuropa-Bewegung wach zu halten und uns immer wieder damit zu konfrontieren.“

Bericht und Fotos: Pauneuropa-Union

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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