Dr. Friedrich von Daumiller im Interview – Neues Leben in alten Gemäuern: Der Inseldom und seine bewegte Geschichte
Nach über einem Jahrhundert Schattendasein weht wieder frischer Wind in den alten Mauern der einstigen Dom- und Stiftskirche St. Sebastian und St. Sixtus auf Herrenchiemsee. Erstmals im Oktober 2021 öffnete die Bayerische Schlösserverwaltung das historisch kontrastreiche Baudenkmal. Dem vorausgegangen waren umfangreiche Sanierungsmaßnahmen, die Besucher:innen bei Gruppenführungen einen barrierefreien Zugang zu dem teils ruinenhaft anmutenden Gebäude ermöglichen. Dr. Friedrich von Daumiller engagiert sich seit vielen Jahren auf mannigfache Art und Weise für das kulturelle Erbe der Chiemsee-Region. Im Interview erzählt er über die wechselvolle Geschichte des Inseldoms, die bereits im frühen 7. Jahrhundert ihren Anfang nahm.
Von Lisa Morgenstern, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Prien Marketing GmbH
Herr Dr. von Daumiller, Sie sind Vorsitzender des Vereins „Vereinigung der Freunde von Herrenchiemsee“, der im Juni 2021 sein 60-jähriges Bestehen feierte. Welche Ziele verfolgen Sie und die rund 480 Mitglieder?
Dr. von Daumiller: Unsere Vereinigung setzt sich satzungsgemäß die Pflege, Wiederherstellung und wissenschaftliche Bearbeitung der Kulturgüter von Herrenchiemsee, insbesondere des ehemaligen Klosters, des Bistums Chiemsee sowie der Schlossanlage König Ludwigs II. zum Ziel.
Wann und anhand welcher Befunde konnte man nachweisen, dass bereits im Jahr 629 auf dieser Anhöhe der Herreninsel eine Klosteranlage gestanden hat?
Dr. von Daumiller: Unter Leitung von Dr. Hermann Dannheimer fanden von 1979 bis 1989 archäologische Grabungsarbeiten
auf der Herreninsel statt. Dabei stieß man auf Reste einer Holzkirche, deren Erbauung die Archäologen auf das frühe siebte Jahrhundert datierten. Der immer wieder bezweifelte Bericht des bayerischen Chronisten Johannes Turmair, genannt „Aventinus“, dass der aus Burgund kommende irische Mönch Eustasius ein Kloster im Chiemsee gegründet habe, wird, wie der Salzburger Historiker Prof. Dr. Heinz Dopsch ausführt, dadurch eindrucksvoll bestätigt. Da Eustasius im Jahr 629 gestorben ist, gehen die Historiker davon aus, dass im Jahr 629 die Klosteranlage bereits bestanden hat. Herrenchiemsee ist damit das älteste Kloster in Bayern.
770 gründete Herzog Tassilo III. eine Benediktinerabtei auf der Herreninsel. Zwölf Jahre später wurde das Münster zu Ehren des hl. Erlösers geweiht. Sind heute noch Überreste der vorromanischen Kirche St. Salvator erhalten?
Dr. von Daumiller: Die vorerwähnte Holzkirche, die nach ca. 30 Jahren erneuert wurde, wich, wie die archäologischen Untersuchungen ergaben, gegen Ende des siebten Jahrhunderts einer aus Stein erbauten Saalkirche. Um 760 wurde dieser Saalbau abgebrochen und durch eine dreischiffige Pfeilerbasilika ersetzt. Von diesem Bauwerk ist noch heute ein Stück einer aufgehenden Mauer vorhanden. Lange Zeit galt Herzog Tassilo III. als Gründer des Klosters auf Herrenchiemsee. Wie wir jetzt wissen (s.o.) entstand das Kloster auf der Herreninsel schon wesentlich früher. Die ersten Kleriker waren auch keine Benediktiner, sondern Kolumbaner, war doch der hl. Eustasius ein Schüler des hl. Kolumban. Herzog Tassilo und schon dessen Vater, Herzog Odilo, haben das Kloster sehr gefördert. Prof. Dopsch spricht davon, dass Herrenchiemsee das Hauskloster der in Regensburg ansässigen Agilolfinger, des ersten bayerischen Herrschergeschlechts, gewesen sei. Aus einer Salzburger Quelle wissen wir, dass schon im Jahr 749 zwei karantanische Fürstensöhne auf Herrenchiemsee getauft wurden. Herrenchiemsee entwickelte sich zum Zentrum der Salzburgisch-Bayerischen Slawenmission, die sich nicht nur nach Karantanien, dem heutigen Slowenien und Kärnten sowie der Südsteiermark, sondern auch nach Pannonien und bis zum Plattensee erstreckte. Im Jahr 782 gründete Tassilo III. die Abtei Frauenwörth als adeliges Damenstift.
Was bedeutet der Begriff „Cäsaropapismus“ in Zusammenhang mit der Klostergeschichte?
Dr. von Daumiller: Im Jahr 788 wurde Herzog Tassilo III. auf dem Reichstag zu Ingelheim von seinem Vetter, König Karl dem Großen, in einem wenig rechtsstaatlichen Verfahren gestürzt. Das Herzogtum Bayern mit Herrenchiemsee fiel an den Frankenkönig. Dieser als strenger Anhänger der römisch orientierten Kirche strebte eine Abkehr von der kolumbanischen (irischen) Mönchsregel hin zur Benediktinerregel an, um die Einheitlichkeit in seinem Reich herzustellen. Der bayerische Historiker Michael Doeberl nannte dies den „Cäsaropapismus“ Karls des Großen.
In der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts kam es in der Region zu den Ungarneinfällen. Welche Folgen hatte dieses Ereignis für das Gotteshaus der Benediktinerabtei?
Dr. von Daumiller: Der Brand von Kirche und Kloster in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts ist wohl auf einen Ungarneinfall zurückzuführen.
Auf den Fundamenten der alten Abteikirche des 8. Jahrhunderts errichteten die Augustiner-Chorherren 1130 eine hochromanische Basilika. Zur Neugründung schenkte Papst Honorius II. der Vereinigung die Reliquien der Heiligen Sixtus und Sebastian, die in den kommenden Jahrzehnten als Patrone ihre schützenden Hände über das Chorherrenstift hielten. Kamen bei archäologischen Garbungen Besonderheiten aus dieser Zeit zum Vorschein?
Dr. von Daumiller: Nach dem vorerwähnten Brand war jedenfalls um die Jahrtausendwende die Kirche in gleicher Größe wie früher wieder erbaut. Im frühen 11. Jahrhundert wurde im Chorbereich eine Krypta eingebaut. Die Westseite wurde umgestaltet, zwei Türme wurden errichtet. Gesicherte Quellen für einen Neubau der Kirche um 1130 gibt es nicht. Die Chorherren bauten die bestehende Kirche als ihre Stiftskirche zu einer romanischen Basilika um.
Noch ein Wort zu den Chorherren: Im Zuge der Reformen nach dem Investiturstreit zwischen Kaiser und Papst führte der Salzburger Erzbischof Konrad I. um 1130/1131 die Augustiner-Chorherrenregel auf Herrenchiemsee ein. Als Vorbild diente das Leben des hl. Augustinus (gest. 430), der als Bischof von Hippo in Nordafrika gewirkt hatte und zu den großen Kirchenlehrern zählt. Die Chorherren, studierte Kleriker, kennen kein Privateigentum und sollen sich ganz der Seelsorge widmen. Leiter der Gemeinschaft ist der Propst, der von den Chorherren gewählt wird. Zur gleichen Zeit teilte der Erzbischof zur besseren Verwaltung sein riesengroßes Bistum, das praktisch das gesamte Ostalpengebiet erfasste, in Archierzdiakonate ein, wobei er ein Archidiakonat Herrenchiemsee bildete und verfügte, dass der jeweilige Propst von Herrenchiemsee in Personalunion immer Archidiakon sein solle, eine Regelung, die bis zur Säkularisation beibehalten wurde. Zum Archidiakonat Herrenchiemsee gehörten die Pfarreien Herren- und Frauenchiemsee, Eggstätt (mit Endorf), Prien (mit Aschau), Grassau (mit Übersee, Unterwössen und Schleching), Söllhuben, Rohrdorf (mit Samerberg und Neubeuern), Riedering (mit Stephanskirchen), Prutting (mit Söchtenau), Vogtareuth und dazu der ganze Tiroler Teil des Erzbistums Salzburg mit Kufstein, Wörgl, Rattenberg, St. Johann, Kitzbühel bis zum Zillertal und der Nordgrenze des Pinzgaus. Der Archidiakon übte kirchliche Jurisdiktion, Strafgewalt und Zensur aus, besetzte die Pfarrstellen und visitierte die Pfarrer.
Welche Aufwertung erfuhr das Gotteshaus im Jahr 1215?
Dr. von Daumiller: 1215/1216 errichtete der Salzburger Erzbischof Eberhard II. mit Zustimmung des Papstes und des Kaisers das Bistum Chiemsee als Salzburger Eigenbistum. Zum Zentralort des neuen Bistums bestimmte er Herrenchiemsee, wobei die Rechte der Augustiner-Chorherren unangetastet blieben, was sich diese vom Papst bestätigen ließen. Auch das Archidiakonat blieb unberührt. Wahl, Ernennung, Investitur und Belehnung des Bischofs von Chiemsee behielt sich der Salzburger Erzbischof vor, eine einmalige reichs- und kirchenrechtliche Besonderheit. Die Siftskirche wurde zur Domstiftskirche, der Propst der Chorherren zugleich Dompropst. Die Chorherren wurden Domherren. Das Bistum Chiemsee war flächenmäßig kleiner als das Archidiakonat Herrenchiemsee: es umfasste nicht die Fraueninsel und reichte an seiner Westgrenze nicht an den Inn, die Grenze zwischen dem Erzbistum Salzburg und dem Bistum Freising. Der Dualismus zwischen Bischof und Archidiakon (=Propst), die sich einmal mehr, einmal weniger gut verstanden, prägte die Geschichte der Herreninsel bis zur Säkularisation.
Nach einem zwischenzeitlichen Niedergang im 16. Jahrhundert erlebte das Chorherrenstift in der krisenhaften Zeit des Dreißigjährigen Krieges eine Renaissance. Wie kam es dazu?
Dr. von Daumiller: 1627 wurde der vom Augsburger Augustiner-Chorherrenstift kommende Arsenius Ulrich zum Propst gewählt, der mit eiserner Hand für Disziplin im Stift sorgte und dessen Finanzen in Ordnung brachte. Vier weitere tatkräftige Pröpste, die ihm nachfolgten, gaben der Klosteranlage ihr heutiges Aussehen.
Von 1676 bis 1678 wurde der gotische Dom im Geiste des Barocks großzügig und prunkvoll umgebaut. Sind noch Nachweise bzw. Überreste vorhanden die bezeugen, dass die Kathedrale einst ein signifikanter Bau des Frühbarocks war?
Dr. von Daumiller: Nachfolger von Arsenius Ulrich wurde ab 1653 Propst Rupert Kögl, der nicht nur die Reformpolitik seines Vorgängers fortsetzte, sondern vor allem auch die Planung und den Neubau der Domstiftskirche im Geiste des Barocks anging. Als Vorbild diente der Neubau der Traunsteiner Stadtpfarrkirche St. Oswald. Propst Kögl war hiervon so angetan, dass er den dortigen Polier Lorenzo Sciasca aus Graubünden als Baumeister für den Inseldom engagierte. Nachdem in den Jahren 1818 bis 1820 das Domgebäude durch Einbauten in drei Geschosse unterteilt wurde, deutet in den beiden unteren Stockwerken nichts mehr auf einen sakralen Raum hin. Nur das oberste Geschoss, das nun nach der Renovierung durch einen Aufzug und eine diesen umgebende Wendeltreppe zu erreichen ist, vermittelt auch jetzt noch einen Eindruck vom ursprünglichen Innenraum eines Gotteshauses. Der Besucher wird überrascht durch das mächtige, auch heute noch barocke Pracht ausstrahlende Tonnengewölbe mit den Malereien von Josef Eder aus Neubeuern und Jakob Carnutsch aus Prien; ihm fällt die Stukkatur am Chorbogen, dem einzigen Rest der von Fransesco Brenno geschaffenen Dekoration des abgebrochenen Presbyteriums, ins Auge mit der Inschrift HAEC EST DOMUS DEI IN QUA INVOCABITUR NOMEN EIUS – dies ist ein Haus Gottes, in dem sein Name angerufen werden wird.
Was ist auf dem Gemäldezyklus im mächtigen Tonnengewölbe heute noch zu sehen?
Dr. von Daumiller: Die Deckengemälde Josef Eders, die heute noch gut erkennbar sind, gehören zu den frühesten Zeugnissen barocker kirchlicher Gewölbemalerei in Oberbayern. Die insgesamt neun großen Bilder stellen Szenen aus dem Leben des hl. Augustinus dar. Im Ostjoch zeichnet sich seine Taufe, die Priesterweihe und seine Bekehrung im Gewölbe ab. Im Mitteljoch, besonders gut zu sehen: nördlich Bischof Augustinus mit dem Knaben, der das Meer ausschöpfen will, in der Mitte die sog. Lactatio des hl. Augustinus. In den Wolken erscheinen Christus, aus dessen Seite Blut und Maria, aus deren Brust Milch auf den knieenden Augustinus fließt. Weiter südlich wäscht Augustinus Christus die Füße. Im Westjoch ist das nördliche Bild zerstört. In der Mitte fährt Augustinus, umgeben von Engeln, mit einem goldenen Wagen in den Himmel. Südlich ist der Tod des Heiligen dargestellt. Dieser liegt in einem Himmelbett, umgeben von betenden Klerikern.
Bis zur Einweihung der barocken Stiftskirche im Jahr 1679 hing ein großes, gotisches Kreuz hoch oben im Chorbogen. Was ist mit dem Kruzifix geschehen?
Dr. von Daumiller: Vermutlich ist das lebensgroße Kruzifix an der Ostwand der Seekapelle, auch Kreuzkapelle genannt, an der Nordspitze der Herreninsel identisch mit dem Chorbogenkreuz.
Der Klassizismus löste den Barock bzw. das Rokoko ab. Die barocken Seitenaltäre des Doms wurden durch sechs aufwändige Marmoraltäre ersetzt, von denen zwei noch erhalten sind. Wo stehen sie heute?
Dr. von Daumiller: Von den sechs Seitenaltären, die 1769 bis 1782 von dem Steinmetz Josef Doppler in Himmelreich bei Salzburg hergestellt wurden – von Osten nach Westen je paarweise: Rupert und Virgil, Augustinus und Josef, Franziskus und Antonius – sind die mittleren noch vorhanden. Der Augustinusaltar befindet sich in der Friedhofskirche St. Georg und Katharina in Traunstein, der Josefsaltar bildet den Hochaltar der Kirche in Gollenshausen. Das hierzu gehörende Altarbild mit dem hl. Josef befindet sich in Privatbesitz. Das Bild vom Augustinusaltar ist verschollen. Aufgetaucht ist jedoch das Bild des Franziskusaltars, das zwei Mitglieder unserer Vereinigung im Pfarrhof von Palling entdeckt haben. Wir konnten es auf unsere Kosten restaurieren lassen; es ist jetzt im Museum auf der Herreninsel ausgestellt.
Die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert brachte mit der Säkularisation einen der stärksten staats- und gesellschaftspolitischen Umbrüche in der bayerischen Geschichte mit sich und läutete das unaufhaltsame Ende des Prälaturklosters – welches zu seiner Blütezeit ein überregionales Zentrum für Wissenschaft, Musik und Seelsorge gewesen war – ein. Was geschah mit dem Inseldom und seinem Inventar?
Dr. von Daumiller: Aufgrund des Reichsdeputationshauptschlusses vom 25. Februar 1803 fiel das Vermögen aller Klöster dem jeweiligen Landesherren zu. Damit gelangte auch die 230 Hektar umfassende Herreninsel mit allen Gebäuden samt Inventar einschließlich des gesamten sonstigen Vermögens des Chorherrenstifts in das Eigentum des Kurfürstentums Bayern. Der nächste Schritt war die Verwertung dieses riesigen beweglichen und unbeweglichen Vermögens. Im Wege einer Versteigerung erwarb am 7. Dezember 1803 der Mannheimer Kaufmann Carl von Lüneschloß die Insel mit Gebäuden für 43.650 Gulden (die heutige Kaufkraft eines Guldens würde etwa sechs Euro entsprechen), allerdings ohne Inventar, insbesondere ohne die Kircheneinrichtung. So erwarb den Hochaltar des Domes im Jahr 1807 der spätere Inseleigentümer Josef von Diez und verkaufte diesen 1809 an die Pfarrei Rimsting. Da der Altar für die Rimstinger Kirche zu groß war, wurde er vom Priener Schreinermeister Anton Kronast verkleinert und befindet sich in dieser Form bis heute in der Pfarrkirche St. Nikolaus in Rimsting. Die Kanzel des Domes, von Anton Kronast 1807 ersteigert, verkaufte dieser ebenfalls verkleinert an die Pfarrei Rimsting. Die marmornen Speisegitter und die Balustraden vor den Seitenaltären ersteigerte 1810 der Traunsteiner Stadtmaurermeister Josef Oberndorfer. Sie wurden 1811 in die Stadtpfarrkirche St. Oswald in Traunstein eingefügt, im Zuge der Renovierung dieser Kirche im Jahr 2020 entfernt und harren nunmehr im Depot der Erzdiözese München und Freising in Neumarkt St. Veit ihrer Rückkehr in den Inseldom.
Rund ein Jahrzehnt später sorgte der neue Besitzer der „Ökonomie Gut Herrenwörth im Chiemsee“ Alois von Fleckinger für die weitgehende Zerstörung des Sakralbaus. Welche frühindustrielle Nutzung des Gebäudes schwebte dem Geschäftsmann der „neuen Zeit“ vor und ist ihm die Umsetzung gelungen?
Dr. von Daumiller: Alois Fleckinger, ein Münchner Kaufmann, der die Insel 1818 erwarb, tat sich als besonderer Schänder der Domstiftskirche hervor, wohl um der aufgeklärten staatlichen Obrigkeit besonders zu gefallen, um dadurch in den Adelsstand erhoben zu werden. Er ließ das Presbyterium abreißen, die Türme abtragen und baute im Langhaus eine Brauerei mit Mälzerei und Wohnung des Braumeisters ein. Hierbei wurden auch die oben erwähnten Zwischendecken eingezogen. Etliche Fenster des Domgebäudes wurden zugemauert. Die sechs Fassadenfiguren Salvator, Michael, Augustinus, Benedikt, Sixtus und Sebastian ließ er in den See werfen.
Zum Glück hatte der Staat keine Ambitionen Herrenchiemsee und die Klosteranlage in ein „bayerisches Alcatraz“ umzuwandeln und der Mälzerei-Betrieb wurde durch weitere Besitzer fortgeführt bis schließlich König Ludwig II. 1873 die Insel samt Brauerei erwarb. Der „Märchenkönig“ galt als ausgesprochener Kunstkenner und -liebhaber des Barocks und des Rokokos – verfolgte er Pläne, den Baukörper in den Zustand vor der Mediatisierung zurückzuführen?
Dr. von Daumiller: Solche Pläne sind mir nicht bekannt.
Von 1917 bis 2021 Stand das Gebäude leer. Dennoch gibt es Belege, dass sich immer wieder Menschen in den ruinenhaften Gemäuern befunden haben. Wandinschriften im Inneren des Inseldoms erzählen das letzte Kapitel der bewegten Geschichte. Was verraten uns die privaten Botschaften, die hier Mitte des 20. Jahrhunderts für die Nachwelt hinterlassen wurden?
Dr. von Daumiller: Schon im 19. Jahrhundert gab es Wandkritzeleien. Als eindrucksvollen Protest, vermutlich von einem Brauereiarbeiter, lesen wir: „Ferlohren pist du, weil du aus dem Hause Gottes das Breuhaus gemacht hast“. Ein Beschwerdegedicht über schlechte Bezahlung aus dem Jahr 1873 führt uns die soziale Situation dieser Zeit vor Augen. Immer wieder geht es um Krieg. Wir erfahren von der Einnahme der Stadt Orleans am 11. Oktober 1870. 1917 heißt es mehrmals „Immer Krieg“. Am 24. Oktober 1941 erinnern Leni und Rosi an das Jahr, „wo der Krieg zu stürmisch war“. Leni, Ursula und Kathi, drei Mädchen aus dem Schlosshotel, beklagen im selben Jahr ihren Aufenthalt im „Klosterleben“. Ihr Text endet mit der makabren Schlusszeile „Auf Wiedersehen im Massengrab“. Aus dem Jahr 1955 stammt noch ein lustiger Spruch, mit dem eine Brauerei aus Rosenheim Werbung betreibt: „Drückt Dich ein Kummer. Plagt Dich ein Schmerz, trink ein maß Auer und leichter wird`s Herz“.
Was waren die Herausforderungen bei der Dom-Sanierung?
Dr. von Daumiller: Die besonderen Herausforderungen bestanden darin, den Denkmalschutz, dem das gesamte Bauwerk mit allen Einbauten der Säkularisation unterliegt, mit den Anforderungen, die in der Jetztzeit an ein für die Öffentlichkeit bestimmtes Bauwerk gestellt werden, wie Sicherheit, insbesondere Brandschutz, und Barrierefreiheit in Übereinstimmung zu bringen, wobei die Kosten überschaubar sein sollen. Diese Aufgaben haben die Architekten des Staatlichen Bauamts Rosenheim und der Schlösserverwaltung überzeugend gelöst. Ulrich Brinkmann schreibt in der Fachzeitschrift „Bauwelt“: „Es ist der lösungsorientierte „Geist des Machbaren“ von Ingenieuren, der sich, von keiner vermittelnden Gestaltung gedämpft, zeigt“.
Die Vielfalt und Komplexität des kulturellen Erbes von Herrenchiemsee als Kloster-, Königs- und Verfassungsinsel hat einen außerordentlichen Wert für heutige und künftige Generationen. Wie stehen Ihrer Meinung nach die Chancen für den Titel UNESCO-Weltkulturerbe?
Dr. von Daumiller: Die Idee, das Königsschloss Herrenchiemsee zusammen mit den Schlössern Linderhof und Neuschwanstein zum Weltkulturerbe vorzuschlagen, stammt von meinem Vorgänger im Vorsitz unserer Vereinigung, Altbürgermeister Lorenz Kollmannsberger aus Prien. Das Bayerische Kultusministerium bearbeitet den entsprechenden Antrag, der es mittlerweile auf die deutsche Tentativliste geschafft hat. Es ist zu erwarten, dass die UNESCO hierüber im Jahr 2023 entscheidet. Die Chancen für einen positiven Entscheid stehen gut.
Bildunterschrift: Dr. Friedrich von Daumiller im Interview über die bewegte Geschichte des Inseldoms. ©Foto Berger
Bildunterschrift: Im obersten Geschoss des Inseldoms steht barocke Pracht im Kontrast zur rationalen Nüchternheit der Säkularisation. ©Bayerische Schlösserverwaltung, Maria Scherf, München
Bildunterschrift: Noch heute kann man an der Ostseite des Baudenkmals den in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zugemauerten Chorbogen deutlich erkennen. „Hier hat einst das Presbyterium der Stiftskirche gestanden“, erklärt Dr. Friedrich von Daumiller. „Es machte ursprünglich etwa ein Drittel der Gesamtlänge des Baukörpers aus.“ ©Peter Lion StBA Rosenheim
Bildunterschrift: Seit dem Kauf der Insel durch König Ludwig II. trug die Brauerei fortan den Titel „Königliche Brauerei Herrenchiemsee“. Die Autorin Lisa Morgenstern ist im Besitz einer Flasche, die ihr Bruder Mitte der 90ger Jahre beim Spielen entdeckt hatte. Das Flaschenbier wurde von 1898 bis 1914 exklusiv über Vertragswirte verkauft. ©Prien Marketing GmbH
Bildunterschrift: Graffitis aus vergangenen Zeiten finden sich auf den Gemäuern des Inseldoms. ©Prien Marketing GmbH
Von April bis Ende Oktober 2022 kann man den Inseldom samstags, sonntags und feiertags um 11 Uhr sowie um 14 Uhr auf Führungen besichtigen. Sonderführungen sind auf Anfrage bei der Schloss- und Gartenverwaltung Herrenchiemsee möglich. Weitere Auskünfte erhält man auf der Internetseite www.herrenchiemsee.de sowie im Tourismusbüro Prien unter Telefon +49 8051 6905-0 oder info@tourismus.prien.de und im Internet unter www.tourismus.prien.de.
Prien am Chiemsee
Mit einem breiten Kultur- und Freizeitangebot lockt die historische Seegemeinde Jung und Alt an den Chiemsee. So folgen Besucher etwa via Schiff den Spuren König Ludwigs II. zum prunkvollen Schloss auf Herrenchiemsee. Mit dem mittelalterlichen Münster und dem großen Obst- und Kräutergarten lohnt sich auch ein Ausflug auf die benachbarte Fraueninsel. Auf dem Festland geht es für Radler oder Nordic Walker entlang des Uferwegs einmal rund um das Bayerische Meer. Bei den Priener Direktvermarkter sammeln Aktive auf unterschiedlichen Radl-, E-Bike- und Wanderrouten regionale Schmankerl für ihr individuelles Do-it-yourself-Picknick. Beste Aussichten für Wanderer versprechen verschiedene Themenwege wie beispielsweise der Priener Postkartenweg oder der Obst- und Kulturweg in Richtung Ratzinger Höhe. Entspannung und Spaß gibt es dazu im PRIENAVERA-Erlebnisbad direkt an der Uferpromenade. Abenteuer-Klettergarten und Märchenwanderungen ergänzen das abwechslungsreiche Familienangebot in und um Prien ideal. Mit dem speziellen Angebot der Chiemsee Golfcard bespielen Anfänger und Profis für ein einmaliges Greenfee jeweils auf vier von insgesamt zwölf Partner-Plätzen stets begleitet vom malerischen Alpenpanorama. Für die Förderung der touristischen Wirtschaft in Prien am Chiemsee und die Vermarktung des gesamten Umlandes inklusive der Fraueninsel und Schloss Herrenchiemsee ist die 1999 gegründete und 2015 umfirmierte Prien Marketing GmbH zuständig. Weitere Informationen zur Angebotsvielfalt von Prien am Chiemsee und zur Prien Marketing GmbH finden Sie unter www.tourismus.prien.de.