Diözesanratsvorsitzender Hans Tremmel zum angebotenen Amtsverzicht des Erzbischofs von München und Freising
Dass Kardinal Reinhard Marx Papst Franziskus seinen Amtsverzicht angeboten hat, bezeichnet der Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken der Erzdiözese München und Freising, Hans Tremmel, als „ein sehr starkes, ein ehrliches, ein konsequentes und glaubwürdiges Zeichen“. Zugleich verbindet Tremmel damit die Hoffnung, dass Papst Franziskus den Erzbischof von München und Freising gerade jetzt nicht aus der aktuellen Verantwortung entlasse, da dieser nach wie vor weit über das Bistum hinaus eine enorm wichtige Aufgabe wahrzunehmen habe. „Gerade jetzt brauchen wir Kardinal Marx für den Synodalen Weg, weshalb ich das Angebot schon auch kritisch und ambivalent sehe“, betont der Diözesanratsvorsitzende. Im Wortlaut erklärt Tremmel:
„Die Ankündigung von Kardinal Marx hat mich sehr überrascht. Er hat mich heute kurz angerufen, um mich persönlich zu informieren Aus meiner Sicht ist es ein sehr starkes, ein ehrliches, ein konsequentes und glaubwürdiges Zeichen, das der Kardinal hier setzt. Er klebt nicht am Geld (das zeigt seine Stiftung), nicht am Amt, nicht am Prestige und auch nicht an der Macht. Er will einen echten Perspektivwechsel vorantreiben hin zu den Opfern sexualisierter Gewalt. Ohne echte Reue, ohne Bitte um Vergebung, ohne die Bereitschaft zur Aufklärung, zur Aufarbeitung und zur Erneuerung und ohne persönliche Konsequenzen bleibt es bei einem äußerst bedenklichen Status Quo der Kirche hier in Deutschland.
Die Kirche und vor allem auch einige Bischöfe in Deutschland und auch in anderen Teilen der Welt geben ein desaströses Bild ab. Da brauchen wir nichts zu beschönigen. Das fällt auf uns alle zurück. Aber es geht eben in erster Linie um die Opfer sexualisierter Gewalt und nicht um die Institution, die weiterhin mit Vertuschung, Schönrednerei und Drücken vor individueller Verantwortung irgendwie ,gerettet‘ werden soll. Der Kardinal geht hier einen anderen, einen sehr gradlinigen Weg, und das nötigt mir höchsten Respekt ab. Was die Frage der Mitverantwortung für eine Institution bedeutet, die er an oberster Stelle repräsentiert, kommt er offensichtlich zu anderen Antworten als manche seiner Amtsbrüder. Ich kenne Reinhard Marx nun schon länger und seit 2010 arbeite ich auch relativ eng mit ihm als Diözesanratsvorsitzender zusammen. Das Leid, das Menschen durch Vertreter der Kirche angetan wurde und das Ausmaß der institutionellen und systemischen Vergehen, das in den letzten Jahren ans Licht kam, hat ihn nachhaltig erschüttert und sein Welt- und Kirchenbild durchaus ins Wanken gebracht. Auch seine individuelle Gewissenserforschung, ob und an welcher Stelle er persönlich Fehler gemacht hat, hat er mit großer Redlichkeit betrieben. Mit dem angebotenen Amtsverzicht spielt er keine Spielchen. Er meint es ernst und ist zu diesem Schritt wirklich bereit. Natürlich kann ich letztlich nicht beurteilen, inwiefern er in der Vergangenheit individuelle Fehler gemacht hat und wie gravierend diese sind.
Unser Erzbischof ist bereit, den Weg frei zu machen, um das Evangelium aus der tiefen Dunkelheit des Missbrauchs wieder ans Licht zu bringen. Aber er ist nach meiner Einschätzung auch bereit, weiterhin konsequent gemeinsam mit anderen einen Weg der Umkehr und der Erneuerung zu gehen. Deshalb hoffe ich sehr, dass Papst Franziskus ihn gerade jetzt nicht aus der aktuellen Verantwortung als Erzbischof von München und Freising entlässt, weil Kardinal Marx nach wie vor weit über unser Bistum hinaus eine enorm wichtige Aufgabe wahrzunehmen hat. Und Franziskus selbst sollte nicht auf seinen Rat verzichten. Gerade jetzt brauchen wir Kardinal Marx für den Synodalen Weg, weshalb ich das Angebot schon auch kritisch und ambivalent sehe. Wir haben nach wie vor viele sehr gute und glaubwürdige Zeugen und Zeuginnen der Botschaft Jesu Christi in unserer Kirche. Und die Botschaft selber ist grandios und unverzichtbar. Das sollte bei der ganzen aktuellen Misere nicht vergessen werden. Wir können nicht für Christus motivieren, wenn nur einseitig der Blick auf das negative Erscheinungsbild gerichtet ist. Eine differenzierte Sicht ist notwendig. So muss auch der Synodale Weg in der Tat zu einem weltweiten Erneuerungsprozess werden. Es muss ein geistlich-spiritueller, ein intellektuell-wissenschaftlich redlicher und ein ethisch-moralisch integrer Prozess werden, nicht um der Kirche, sondern um der Menschen willen, nicht zuletzt auch um der Betroffenen willen.
Mich haben in den letzten Stunden zahlreiche Nachrichten auf dem Handy aus ganz Deutschland erreicht. Viele Laien, viele Räte wünschen sich, dass Kardinal Marx als Wegbegleiter mit uns gemeinsam diesen Synodalen Weg weitergeht. Und natürlich wäre das auch mein ganz persönlicher Wunsch.“ (kbr)
Bericht: Erzbischöfliches Ordinariat
Foto: Hötzelsperger