„Dahoam“ drängen Fragen – von Karl Stankiewitz
Genau seit einem Jahr arbeitet meine Nichte im Homeoffice. (Ich will das Wort jetzt eindeutschen, indem ich einfach den Bindestrich streiche).Von ihrer Wohnung in Landstetten aus beliefert Angelika das Statistische Amt in der Münchner Schwanthalerstraße mit Zahlenreihen, Kurven und anderen Basisdaten. Das hatte die Stadt damals durch eine „Dienstanweisung Corona“ ihren Mitarbeitern anheim gestellt. Eigentlich wollte Angelika zu dieser Zeit in Amerika sein; jetzt kämpft sie immer noch um Rückerstattung der bezahlten Reisegelder. Die Umstellung auf eine völlig andere Arbeitsweise wäre nicht möglich gewesen ohne eiserne Disziplin, Jeden Werktag um 7.30 Uhr setzt sich die „Fern-Schreiberin“ an den Laptop, der mit einer speziellen Software ausgerüstet ist. Um 13 Uhr ist Home-Cooking, meist ein schneller Salatsnack, Feierabend ist in der Regel um 16.30 Uhr. Danach geht die Homearbeiterin oft noch zur Physiotherapie, um sich nach dem langen Sitzen aufzulockern. Ab und zu schaut Ehemann Peter rein. Immer aber umschleichen die beiden Hauskatzen den Monitor oder schlummern davor ein.
Alles in allem ist Angelika mehr als zufrieden: „Ich finde das Homeoffice klasse, denn es erspart mir die Fahrzeit. Da ich aus einem weiter entfernten Landkreis komme, bin ich auch einer geringeren Ansteckungsgefahr ausgesetzt.“ Die Nähe ihrer Kolleg*innen, die allerdings vermisst sie schon sehr. Deshalb ist sie jedes Mal froh, wenn sie ab und zu ins Amt kommt, um dienstliche Termine vor Ort wahrzunehmen. Etwas anders dürfte es aber wohl dort ablaufen, wo Homeworker nicht durch Cats, sondern von Kids belagert wird. Längst nicht alle Teilnehmerk kommen mit dem Homeoffice klar. Trotzdem scheint diese Art Büroarbeit allmählich zum neuen Standard zu werden. Immerhin erledigen bereits 60 Prozent aller Angestellten der Landeshauptstadt ihren Dienst von der Privatwohnung aus. Video- und Telefonschaltungen ersetzen gewohnte Konferenzen. Ausgereifte elektronische Systeme ermöglichen einen fast reibungslosen Betrieb. Über solche Programme melden sich täglich etwa 15 000 städtische Mitarbeiter an. Münchens Personalreferent Alexander Dietrich (CSU) erwartet sogar, durch die künftige digitale Arbeitswelt einiges an Bürofläche und Miete einsparen zu können. Eine Frage von sozialpolitischer Relevanz: Wird Homeoffice auch Arbeitsplätze klosten?
Homeoffice verändert nicht zuletzt meinen Beruf. Zwar bin ich, wie die meisten freien Journalisten, seit langer Zeit an das berufliche „Dahoam“ gewöhnt, an Schreibtisch, Computer und Telefon Seit einem Jahr jedoch ist der Anteil der Heimarbeiter unter den Kollegen stark im Wachsen begriffen. Daraus ergeben sich neuartige und gravierende Probleme. So dass der Bayerische Journalistenverband (BJV) hilfreiche Online-Vorträge und -Fragestunden anbietet Dieser Tage informierte zum Beispiel ein renommierter Rückenspezialist über Wirbelsäulen- und Bandscheibenbeschwerden, denn die haben sich deutlich vermehrt. Auch auffallend viele psychische Auswirkungen bei seinen Mitgliedern meldet unsere Gewerkschaft – andere Berufsgruppen sind ebenso betroffen. Da es kaum noch eine klare Trennung zwischen Arbeit und Privatleben gebe, falle es schwer, einen geregelten Tagesablauf einzuhalten, wenn man nicht das Haus verlassen müsse. Mancher habe trotz mehrerer Zoom-Konferenzen am Tag nicht wirklich das Gefühl, etwas geleistet zu haben, so der BJV und fragt per Rundschreiben: Warum ist das so? Warum meistern manche Menschen die Situation im Homeoffice besser als andere?
„Die im Januar beschlossene Pflicht der Firmen zum Homeoffice, um die Corona-Ansteckungen zu verringern, ist bislang zum Teil verpufft,“ stellte das Münchner Ifo-Institut fest. Das Potenzial für Homeoffice sei noch keinesfalls ausgeschöpft. Rund 39 Prozent der befragten Deutschen gaben an, grundsätzlich könnten sie ihren Beruf uneingeschränkt oder großenteils in Heimarbeit ausüben.Tatsächlich erledigten im Januar weniger als ein Viertel aller Beschäftigen ihre berufliche Arbeit von Zuhause aus. Im November 2020 waren es erst 14 und im Dezember 17 Prozent. Tendenz steigend.
Bericht: Karl Stankiewitz – Foto: Angelika Kleinz