Natur & Umwelt

Bräuche und Legenden für die Winterzeit: Raunächte

Mit der Nacht von 24. auf den 25. Dezember beginnen die Zwölften, die Zwölfnächte, die Zeit „zwischen den Jahren“. Auch unter dem Namen Raunächte sind diese zwölf Tage und Nächte bekannt, wobei vielerorts die Raunächte schon ab dem Wintersonnwendtag, dem 21. Dezember, gezählt werden. Warum sind es aber ausgerechnet diese Tage zwischen Wintersonnenwende, Weihnachten und Heiligdreikönig, die als Geisterzeit, als Losnächte, als Orakel für die Zukunft oder zumindest fürs nächste Jahr gelten?

Die unterschiedliche Länge von Mond- und Sonnenjahr ist die Haupursache: Der Sonnenumlauf dauert 365 Tage, das Mondjahr ist zwölf Tage kürzer. Diese Differenz haben schon die alten Ägypter versucht, durch das Anhängen von Tagen an das Kalenderjahr auszugleichen, ebenso wie alle anderen Kalendervariationen, die danach kamen: etwa der julianische Kalender durch Julius Cäsar und die berühmte Kalenderreform durch Papst Gregor XIII. im Jahr 1582. Der Jahresbeginn war lange der 6. Januar, das Jahresende der 24. Dezember, aber nicht jedes Land, jede Region hatte den gleichen Jahresanfang.

Die Zeit „zwischen den Jahren“ war also eine nicht greifbare Zeit, eine unsichere Zeit, in der man die Tore zur Jenseitswelt offen glaubte. Wie in allen Wendezeiten fühlte man sich auch in diesen langen, dunklen Tagen und Nächten den unsichtbaren Bedrohungen der bösen Geister, der Hexen und Dämonen, der zerstörerischen Winde ausgesetzt. Zahllose Sagen und Legenden entstanden von den unterschiedlichen Gestalten, die es auf Mensch und Tier abgesehen hätten und ebenso viele Verbote und Gebote, wie man dem Bösen entkommen könne. Gleichzeitig barg diese Geisterzeit – wie alle Wendezeiten – nach altem Glauben die Chance, einen Blick in die Zukunft zu werfen, eben weil in der geheimnisvollen Jenseitswelt auch die kommenden Ereignisse quasi schon vorbestimmt seien.

Losen in der Raunacht

Orakelbräuche waren weit verbreitet, sowohl die Versuche, den Zeitpunkt der Heirat und den Namen des Bräutigams zu erfahren – mit ähnlichen Bräuchen wie in der Andreasnacht –, als auch sonstige Ereignisse des kommenden Jahres. So heißt es, dass die Wachteln in der Mette so oft schreien wie man noch Jahre zu leben hat. Aus Niederbayern wird berichtet, dass in der Christnacht jedes Familienmitglied ein Holzscheit auf den Tisch stellte. „Von welcher Person das Holzscheit zuerst umfällt, diese muß im nächsten Jahr sterben.“

Auch die gefürchtete Wilde Jagd als den mächtigsten Unterweltzug versuchten angeblich vorwitzige Burschen zur Zukunftsschau zu benützen: „Ein Bursch stand in einer der Losnächte auf dem Kreuzweg, um das Wilde Gjoad zu erwarten und seine zukünftige Frau zu erfragen. Da vernimmt er eine Stimme, die ihn auffordert, morgen in die Kirche zu gehen, wo er seine künftige Frau sehen werde. Als er in die Kirche kam, wurde ihm das Gesicht zerkratzt; er sah aber das Mädchen, welches er später heiratete.“

In den Raunächten kann man angeblich auch das Wetter des nächsten Jahres erfahren: Der 25. Dezember lost den Januar, der 26. den Februar, der 27. den März und so weiter. Jeder der zwölf Tage gibt Auskunft über das Wetter eines jeden Monats des kommenden Jahres. Manche nahmen das dann ganz genau: Aus dem Wetter am Vormittag des 25. Dezember versuchte man das Wetter der ersten Januarhälfte zu erkunden, aus dem Wetter am Nachmittag das der zweiten Monatshälfte und so weiter. Auch die Träume in den zwölf Nächten sollen sich in den zwölf Monaten des neuen Jahres bewahrheiten.

Das Zwiebelschalenorakel war ebenfalls eine beliebte Art, das Wetter des kommenden Jahres zu erfahren. Aus der Rhön und dem Allgäu heißt es, dass das Orakel besonders in der Christnacht praktiziert wurde: Vor der Christmette wurde eine Zwiebel halbiert und vorsichtig zerlegt, sodass man zwölf Zwiebelschälchen bekam. Man setzte sie auf ein Brett in einer Reihe – stellvertretend für Januar bis Dezember. In diese wurden jeweils einige Körnchen Salz von der letzten Dreikönigsweihe gelegt. Je nachdem, wieviel Salz sich bis nach der Mette aufgelöst hatte, schloss man auf feuchtes oder trockenes Wetter im entsprechenden Monat.

Besonders auf den Wind achtete man in den Raunächten. Denn die Winde galten schon seit Menschengedenken als die Verursacher von gutem Wetter und Unwetter, von Krankheiten, von Fruchtbarkeit der Felder oder Misserfolgen bei der Ernte. Auch die Vorstellung eines mächtigen Winddämons, der die weibliche Verkörperung des Windes, die Windsbraut, in den Raunächten über den Himmel jagt, war weit verbreitet. Gegen diese beiden Dämonen sollte es zum Beispiel helfen, wenn man Lärm macht, gegen sie ausspuckt oder ein Messer in den Wind wirft, das dann die Windsbraut tötet. Dabei sollte man aber gut zielen können, denn die nicht getroffene Windsbraut reißt den Angreifer in die Höhe und lässt ihn fallen, wie man es auch der Wilden Jagd nachsagt. Weniger riskant ist es, den Wind mit derben Flüchen zu beschimpfen. Dreimal sollte man rufen: „Saudreck! Saudreck! Saudreck!“ oder „Windhur“, „Sauwind“. Bis heute hört man bisweilen, wenn ein starker Wind übers Land fegt, sagen: „Da kommt die Windsau!“

Im Wind der Zwölfnächte „rammeln“ die Obstbäume, wie man in vielen Gegenden Deutschlands sagte. Den Wind glaubte man von Windgeistern verursacht, guten und bösen, und um sie günstig zu stimmen, versuchte man sie unter anderem mit Essen zu besänftigen. Das Windfüttern übernahm die Frau des Hauses, indem sie etwa mit einem Teller Mehl ins Freie trat und eine Handvoll Mehl in die Luft warf, die der Wind dann ergriff und forttrug. Dabei sprach sie: „Da hast du, lieber Wind, für dich und dein Kind!“ Brotbrösel oder Salz waren auch beliebte Speisen für den Wind und sehr verbreitet war das Ritual, dem Wind einen Löffel entgegenzuwerfen – quasi eine symbolische Fütterung. Im Kärntner Glantal legt die Bäuerin Brot auf die Äste der Bäume, damit sich der Wind daran satt essen kann und im Frühjahr nicht die junge Saat „frisst“.

Entnommen aus dem Buch:

  • Autor: Dorothea Steinbacher
  • Titel: Wenn’s draußen finster wird. Bräuche und Legenden für die Winterzeit
  • Aufmachung: 192 Seiten, durchgehend vierfarbig
  • ISBN: 978-3-466-37224-9, Kösel Verlag 2020

Text und Bildmaterial: Dorothea Steinbacher (www.dorothea-steinbacher.de)

Redaktion

Anton Hötzelsperger

Als freier Journalist bin ich bereits seit vielen Jahren mit der täglichen Pressearbeit für die Region Chiemsee, Samerberg und Oberbayern befasst. Mit den Samerberger Nachrichten möchte ich eine Plattform bieten für Beiträge aus den Bereichen Brauchtum, Landwirtschaft, Tourismus und Kirche, die sonst vielleicht in den Medien keinen breiten Raum bekommen würden.

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