Wie sehr Europa um eine Haltung in der Flüchtlingsfrage ringt, zeigt sich an den Außengrenzen. Auf der griechischen Insel Lesbos stehen die Flüchtlingslager Moria und Kara Tepe sinnbildlich für die Debatte um Abschottung versus Willkommenskultur. Nur wenige Kilometer trennen die Lager – im Umgang mit den Geflüchteten sind es aber Welten.
Das Lager: Moria
Stacheldrahtzäune, riesige Scheinwerfer, bewaffnete Soldaten – die Botschaft, die Moria aussendet, ist unmissverständlich: „Europa will euch nicht!“ Sie richtet sich an Menschen, die in ihrer Heimat Krieg und Terror erfahren haben. Ihr letzter Ausweg: Eine Flucht durch mehrere Länder, an deren vorläufigem Ende die gefährliche Überfahrt von der türkischen Küste nach Lesbos steht. Sie hoffen auf ein Leben in Frieden und bitten in Europa um Asyl.
Moria ist ein Erstaufnahmelager. Jeder Geflüchtete, der auf Lesbos ankommt, wird hier registriert und muss dort seinen Asylantrag stellen. Und dann – warten. „In einer Woche werden auf Lesbos etwa hundert Verfahren entschieden“, schätzt Christiana Kalogirou, Regionalgouverneurin der Nordägäis. Das sind nicht genug, denn im Jahr 2018 kamen durchschnittlich 41 Menschen auf Lesbos an. Pro Tag.
Ausgelegt ist das Lager für rund 3.000 Menschen. Doch im Sommer werden es schnell zwei- bis dreimal so viele. Neuankömmlinge müssen sich dann im benachbarten Olivenhain eine Bleibe schaffen. Dort wohnen sie unter Plastikplanen oder selbstgebastelten Verschlägen. Sie schlafen auf feuchten Matratzen, Holzpaletten oder einem Stück Karton, während Abwasser und Fäkalien an ihren Zelten entlang laufen.
Mitten im Chaos leben hunderte Kinder. Sie machen 35 Prozent der Campbewohner aus. Weitere 22 Prozent sind Frauen. Die meisten stammen aus den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt, aus Afghanistan, aus Syrien und dem Irak. Sie haben Schreckliches erlebt, aber Moria gönnt ihnen keine Verschnaufpause, keine Minute Ruhe, keine Sicherheit.
Die Stimmung im Flüchtlingslager Moria ist aufgeheizt: Zu viele Menschen und zu viele schlimme Schicksale auf engstem Raum. Darunter litt auch Shukria, die mittlerweile im Camp Kara Tepe lebt. Rückblickend sagt sie: „In Moria war es schrecklich. Wir mussten stundenlang anstehen, um an Essen zu gelangen. Mein Mann konnte das nicht übernehmen, er hat eine Behinderung. Auch Kleider zu waschen, war schwierig. Sie haben sich nichts aus uns gemacht. Alles war überfüllt.“
Das Dorf: Kara Tepe
Das Camp Kara Tepe liegt nur wenige Kilometer von Moria entfernt. Im Umgang mit den Geflüchteten trennen die beiden Lager jedoch Welten. Verantwortlich dafür ist Stavros Mirogiannis, der Leiter des Camps: „Wir repräsentieren die Menschenwürde in Europa, denn wir sind die ersten, zu denen die Geflüchteten kommen.“ Errichtet auf einem alten Verkehrsübungsplatz und aufgeteilt in sieben Viertel, gleicht Kara Tepe einem Dorf.
In Flüchtlingscamp Kara Tepe gibt es schattige Gemeinschaftsflächen, ein Fußballfeld, eine Teeküche und blau-weiß bemalte Wohncontainer. Es gibt Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter. Und auch Juristen, die rechtliche Beratung anbieten. Erwachsene können Griechisch- und Englischkurse besuchen, die Kinder eine Schule oder den Kindergarten.
Rund 1.300 Menschen, die in Moria als „besonders schutzbedürftig“ eingestuft wurden, finden in Kara Tepe ein Zuhause auf Zeit, darunter Folteropfer, Menschen mit Behinderung und hochschwangere Frauen. Um langes Anstehen zu vermeiden, wird das Essen an die Wohncontainer gebracht. „Erst wenn die Grundbedürfnisse befriedigt sind“, so Mirogiannis, „können Menschen zur Ruhe kommen und sich Gedanken über ihre Zukunft machen“.
Elf Nichtregierungsorganisationen arbeiten im Camp. Darunter auch die Caritas Griechenland, die – unterstützt von Caritas international – neben Sprach- und Integrationskursen ein Freizeitprogramm anbietet und psychosoziale Arbeit leistet. Die ist wichtig, betont Psychologin Katia Polychroni, denn „die Menschen hier sind überlastet. Sie haben Schreckliches erlebt!“
In Kara Tepe werden Menschen wie Menschen behandelt. Dazu gehört, dass sie mit anpacken. „Es ist wichtig, sich gebraucht und nützlich zu fühlen“, erklärt Mirogiannis. Deshalb halten die Geflüchteten die Infrastruktur des Camps aufrecht. Sie betreiben die Teeküche, einen Frisiersalon, bessern Hosen und Röcke für die Kleiderkammer aus oder verteilen die Mahlzeiten. Fragt man Mirogiannis, warum es in Moria so viel schlechter läuft, antwortet er mit einer Gegenfrage: „Warum lässt Europa so etwas zu?“
Bericht: Caritas international – Fotos: Caritas international / Bente Stachowske