Welch eine Erfolgsgeschichte – Bayerische Schulen der Dorferneuerung und Landentwicklung feiern ihr 30 jähriges Jubiläum. Nachfolgend ein Gespräch mit Holger Magel über ihre Entstehung, Aufgaben und Zukunft. Die Fragen stellte die Geschäftsführerin der SDL Thierhaupten Gerlinde Augustin (GA)
Interview
GA: Lieber Herr Prof. Magel, die Schule der Dorf- und Landentwicklung Thierhaupten (SDL) feiert am 14. Juli 2022 ihr 30jähriges Bestehen. Sie gelten als „Vater der drei bayerischen Schulen der Dorf- und Landentwicklung“. Wie ist die Idee zu einer so einzigartigen Einrichtung entstanden? Was und wann war für Sie der Auslöser? Wie ist die historische Verbindung zur SDL Plankstetten , die am 8. Juli 2022 ebenfalls ihren 30 jährigen Betrieb feiert , und zur später gegründeten SDF Klosterlangheim?
Prof. Magel (HM) : Nachdem es bisher an einer historisch korrekten und vor allem alle Hindernisse zusammenfassenden Darstellung fehlte , hole ich etwas aus. Dazu muss ich anmerken , dass ich ohne die Mithilfe vieler Freunde*Innen , ja bis hin zum neunzigjährigen ehemaligen Präsidenten Bruno Rahn, die Informationen nicht bekommen hätte , da es an den SDL , Gemeinden und ALE an einer systematischen Zusammenstellung der Ursprungsgeschichte fehlt , selbst im Bayerischen Hauptstaatsarchiv. Wüsste ich nicht auf Grund der Aktenlage und Zeugenberichte sowie eigener Erlebnisse , dass das alles real so stattgefunden hat ,würde ich sagen : da hat jemand ein spannendes Drehbuch erfunden! Sicher fehlen noch einige Daten und Infos ; aber auch so ist mir bei dieser Spurensuche nochmals vor Augen geführt worden , wie hartnäckig und mit welchen „Tricks“ ich damals mit engen Verbündeten für die Entstehung aller drei Schulen kämpfen und dabei viele Angriffe oder Blockaden von Vorgesetzten erleiden mußte , die überhaupt kein Verständnis und Gespür für diesen Quantensprung in der Dorf – und Landentwicklung hatten. Die heutige Generation von Gemeinde – und Landentwicklern weiss das ja gar nicht mehr und nimmt die Existenz der SDL eher als immer schon gegeben und selbstverständlich zur Dorferneuerung gehörend an . Aber eine wichtige Botschaft hält die SDL Entstehungsgeschichte auch für sie bereit in Zeiten völlig neuer großer Herausforderungen und allseits gefragter Innovationen und Transformationen : Letztlich kann man auch im oft schwerfälligen Beamten – und Vorgesetztenapparat eine (alle/alles) bezwingende , weil zukunftsfähige Idee durchsetzen !
Elmar Zepf und sein Team spielten eine entscheidende Rolle
Als 1984 das Gutachten „Dorfwerkstatt“ vom kürzlich verstorbenen Prof. Elmar Zepf und seinen Mitarbeitern Peter Jahnke und Otto Kurz erschien und die Akademie Ländlicher Raum zeitgleich in Ansbach die Tagung „Bürgerbeteiligung in der Dorferneuerung“ veranstaltete , war es auch für die letzten „Bremser“ in den Führungsetagen der Flurbereinigungsverwaltung klar: es genügt nicht mehr, nur die Mitglieder der Teilnehmergemeinschaft an den Überlegungen zur Dorferneuerung zu beteiligen:vielmehr waren alle Bürger im Dorf, ob Landeigentümer oder nicht, anzusprechen und zu aktivieren. Ab da war der Erfolgsweg der Bürgerbeteiligung in der bayerischen Dorferneuerung nicht mehr aufzuhalten, dem sich danach quasi als Sahnehäubchen das ebenfalls von Prof. Zepf am und vom Beispiel Dorferneuerung Lupburg erarbeitete und abgeleitete „Leitbild Dorf“ (publiziert 1991) anschloss. Alois Glück wurde zum Anhänger der bayerischen Dorferneuerung und Landentwicklung – fortan lobte er deren Verwaltung als die erste in Bayern, die partizipativ unter Erarbeitung von Zukunftsleitbildern mit den Bürgern planen würde.
Im 1990 von ihm und mir erschienenen Buch „Das Land hat Zukunft. Neue Perspektiven für die ländlichen Räume“ schreiben dazu im Strategieteil die drei Autoren Magel, Attenberger und Jahnke von der Eigenbestimmung der Bürger: „Alle Gruppen im Dorf, die Männer und Frauen, die Jungen und Alten, die Vereine, Kirchen und Schulen sollen an der Zukunft ihrer Heimat mitformen. Zur Aufarbeitung der wichtigen Themen und Probleme kann die Gründung von Zukunftskollegien , Bürgerstammtischen und Bürgerwerkstätten sehr zweckmäßig sein“. Und die drei Autoren wiesen bereits den Weg in Richtung SDL, als sie die „Einrichtung bzw. Veranstaltung gemeindlicher Denk- und Zukunftswerkstätten durch regelmässiges Abhalten von mindestens eintägigen Klausurtagungen vorschlugen, bei denen nicht die Tagesordnung einer Gemeinderatssitzung abgehandelt, sondern über die Zukunft der Gemeinde nachgedacht und diskutiert werden sollte.“ Dorferneuerung behandelt immer die Zukunft der Gemeinde – deshalb war klar, dass zusätzlich zu allen Bürgern auch die Gemeinde selbst aktiv beteiligt werden musste. Dies geschah durch den gesetzlich geregelten obligatorischen Sitz im Vorstand der TG.
Im Beispielsteil dieses populär gewordenen Buches wird auf S. 242 unten als Beispiel für die Umnutzung leerstehender Klosterräume bereits – allerdings noch sehr bescheiden – auf die „geplante“ Schule der Dorferneuerung in Plankstetten nach Vorbild der Salzburger Benediktinerabtei Michaelbeuern sowie auf „ähnliche Überlegungen“ im ehemaligen schwäbischen Kloster Thierhaupten hingewiesen.
Erleuchtung im Kloster?
Was war geschehen? Das, heute würde man sagen, Enligthenment oder die Erleuchtung brachte das 3. Alpenländische Symposium der HSS, das vom 24. bis 27. April 1988 im Bildungszentrum des Stiftes Michaelbeuern im salzburgischen Dorfbeuern stattfand.
Zur Erinnerung: Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer hatte erst 3 Jahre zuvor von Bayern und Holger Magel die Idee der Dorferneuerung übernommen und unter Leitung des sensiblen Hofrats und Architekten Gerhard Sumereder beeindruckend mit eigenen Ideen und wenig Geld die sog. geistige Dorferneuerung, hier durchaus dem Beispiel Niederösterreich folgend, gestartet. Es resultierte daraus eine wunderschöne Zusammenarbeit über die Grenzen – zuweilen mit dem Landeshauptmann selbst und dessen politischen Freund Sixtus Lanner von der Arbeitsgemeinschaft Ländlicher Raum (ich erinnere an noble „Salzburger Gespräche“ u.a. mit EU Kommissar Peter Schmidhuber, Alois Glück, Kurt Faltlhauser oder Thomas Goppel ) und vor allem mit dem Landesbeauftragten für kulturelle Sonderprojekte Alfred Winter und der Leopold Kohr Akademie. Unvergessen bleiben die gemeinsamen Tagungen in Neukirchen am Großvenediger (z.B. die berühmte Leitbildtagung „Was braucht das Dorf der Zukunft? Philosophie oder Geld – oder beides?“ mit Alois Glück, Leopold Kohr, Erika Haindl , Matthias Reichenbach – Klinke etc.) im März 1988.
Ausgerechnet beim späteren ersten europäischen Dorferneuerungssieger Dorfbeuern und dessen tüchtigen Bürgermeister Karl Paradieser erhielten die Seminarteilnehmer (Dorferneuerungs) Bgm. Albert Löhner und MR Holger Magel den alles auslösenden Kick: Beim Rundgang durch die von Säkularisation nie betroffenen Klosterhöfe fiel ihnen an einer Tür das Schild „Schule der Dorferneuerung“ ins Auge – diese gab es schon 2 Jahre lang im Stift, ohne dass Bayern das bisher bewußt zur Kenntnis genommen hatte: Was ist das? Löhner und Magel blickten sich an , und alles war klar. Das ist es! Hier lag die Antwort auf das Suchen, wie man den Bürger professioneller und institutionell zum „Partner, Experten und Akteur“ machen kann – denn bei allen Partizipations – und Leitbildbemühungen gab es immer noch zu viele Bürger, die Planungen und Entscheidungsabläufe nicht verstanden, sich überfordert fühlten und deshalb dagegen waren, oder die sich erst gar nicht trauten, sich zu beteiligen, weil sie sich nicht kompetent genug sahen oder zu schüchtern und unerfahren waren etc.
Der bayerischen Dorferneuerung fehlte bislang das regelmässige Instrument oder die Institution zur Befähigung und Ertüchtigung der Bürger und ihrer behördlichen Partner im Sinne auch von Teambildung. Bei der Akademietagung „Dorferneuerung und Landwirtschaft“ im April 1987 in Freising „träumte“ Magel in der Zusammenfassung zwar bereits von einer „Schule der Dorferneuerung, z.B. im Rahmen kontinuierlicher Akademie-, Kammer – oder Hochschultagungen und – kurse“, aber an eine (standort) feste Einrichtung dachte er noch nicht. Es gab so etwas auch nicht in den anderen deutschen Bundesländern. Wir kannten längst den Spruch von Peter Schawerda aus Österreich “Mitmachen wollen, mitmachen können, mitmachen lassen“. Ja, am „mitmachen lassen“ fehlte es längst nicht mehr, aber immer noch am „mitmachen wollen“ und vor allem am „mitmachen können“. Nun war die Lösung gefunden!
Alles weitere ist Geschichte: Löhner machte sich ans Werk, hatte zusammen mit Frau Dr. Grunelius – Ishak und den Klosterverantwortlichen viele zeitraubende Raumnutzungsfragen zu klären, wobei er auf Unterstützung wie auch auf Widerstände traf. Zu Hilfe kam ihm, dass 1988 das zu Berching gehörende Kloster Plankstetten seine Realschule , die einer aufgegebenen Landwirtschaftsschule folgte, auflöste und nach neuer Nutzung seiner leerfallenden Räume suchte. Das geplante Gästehaus würde gut mit einer Schule der Dorferneuerung zusammenpassen, war die faszinierende Idee. Klosterführung , Gabriele Grunelius und Löhner bildeten nun eine Einheit. Sie fuhren sogar gemeinsam nach Michaelbeuern , um das Vorbild beim Leiter der Schule Karl Paradeiser zu studieren. Legendär geworden ist nach einigen vorherigen Kontakten mit „München“ der Besuch einer dreiköpfigen Delegation des Klosters Plankstetten mit Abt Dominikus Madlener, Prior Theodor Fischer und Pater Gregor Hanke sowie Bürgermeister Löhner und der Dorf(erneuerungs)planerin Grunelius-Ishak am 22.6.1990 bei MR Dr. Magel.
Zu dieser laut Protokoll „harmonisch und erfolgversprechend“ verlaufenen Besprechung brachte die ungemein aktive Architektin bereits eine ausgereifte , ziemlich ganzheitliche Konzeption über Rolle und Inhalte der SDL Plankstetten mit. Diese hatte sie zuvor mit Pater Gregor Hanke (dem nachmaligen Abt und heutigen Bischof von Eichstätt) besprochen.
Die anschließende zufällige Begegnung von Abt Madlener mit Amtschef Alfred Schuh im Zimmer des Studienkollegen MR Dr. Herbert Bauer („Statistik Bauer“) aus gemeinsamen Weihenstephaner Agrarstudienzeiten hatte ein nachhaltiges Grollen , ja Donnerwetter Schuhs zur Folge , als dieser von der Absicht erfuhr , wieder eine Schule in Plankstetten zu gründen. Neue Schulen gründen in Zeiten sinkender Schüler an den gefährdeten Landwirtschaftsschulen ging schon gar nicht – der Amtschef stellte Schule automatisch gleich mit Landwirtschaftsschule, die es ja schon mal im Kloster gegeben hat..
Heute noch, 32 Jahre später, erinnert sich der heutige Abt von Weltenburg Thomas Freihart an die Erzählungen seiner Mitbrüder über diesen Wutausbruch des obersten Landwirtschaftsbeamten Bayerns so lebhaft, als wäre er dabei gewesen. „Alles sofort stoppen“ war dessen von heftigen Emotionen diktierte und keinen Widerspruch duldende schriftliche Order an die Fachabteilung mit gleichzeitiger Meldung an die politische Spitze! Sie half (Gott sei Dank) nichts: Löhner und das Kloster ließen sich nicht beirren und setzten wohl auch darauf, dass der ministeriale Zorn verrauchen würde.
1991: Das Schicksalsjahr der bayerischen Schulen der Dorferneuerung
Löhner gründete schließlich – drei Jahre nach dem Erlebnis in Michaelbeuern und 9 Monate nach dem Crash im Ministerium – am 13. März 1991 „seine“ SDL Plankstetten im Kloster, das darum sehr froh war – mit unveränderter Unterstützung Magels sowie ganz stark auch mit Hilfe der DLE Regensburg (Präsident Rudolf Schuller) und von Frau Grunelius-Ishak . Damit waren die Klassenräume der früheren Realschule wieder genutzt , und das neue Gästehaus St. Gregor hatte eine sichere Seminarbelegung zu erwarten. Bereits zweieinhalb Monate später , am 31.Mai 1991, bat DLE Präsident Rudolf Schuller das Ministerium um Bestätigung seiner Meinung, dass der Besuch der Schule der Dorferneuerung nach den Dorferneuerungsrichtlinien förderfähig sei. Dies führte nach vielen schwierigen
Abstimmungen mit anderen Programmen letztlich zur finanziellen Sicherung des Seminarbetriebs , wovon dann auch Thierhaupten und Klosterlangheim profitierten. Welche Dynamik Löhner und sein Vorstand an den Tag legten , zeigen die Festveranstaltung und erste Mitgliederversammlung ein halbes Jahr später : am 8. November 1991 referierten im Festsaal der Benediktinerabtei Plankstetten Nationalrat Sixtus Lanner und (in Vertretung von Holger Magel) Josef Attenberger über die Dorferneuerung als gesellschaftliche Zukunftsaufgabe!
SDL Thierhaupten hat eine spätere, aber kürzere Entstehungsgeschichte
Noch im gleichen „Schicksalsjahr der Schulen der Dorferneuerung “ erfolgte auch die Gründung der SDL Thierhaupten. Ihr vorausgegangen war ebenfalls ein Seminar und zwar zum Thema „Handwerk und Dorferneuerung“ zwei Jahre zuvor am 20. Oktober 1989 in Dillingen. Hier erhielt der Landrat von Günzburg und Bezirkstagspräsident von Schwaben Dr. Georg Simnacher, wie er selbst schreibt (allerdings hat er sich dabei im Jahr geirrt), im Dialog mit Holger Magel erstmals die Idee zu einer „schwäbisch – oberbayerischen“ SDL in Thierhaupten .
Im Rahmen der vom bayerischen Dorferneuerungschef moderierten Diskussion mit Georg Simnacher, MdL Franz Ihle , Handwerkskammerpräsident Donat Müller , DLE Chef Erwin Nuscheler, Architektenkammervertreter Maximilian Meinel , Augsburger Allgemeine Redakteurin Manuela Mayr und Landwirtschaftsdirektor Franz Stangl ging es schließlich um die Frage, wie man denn die Bürger und Handwerker kundiger und kompetenter in Fragen der im Seminar geforderten dorf- und denkmalgerechten Handwerks- und Baukultur machen könne. Die Antwort war: Durch Schulung!
Das war die Erleuchtung – dieses Mal für Simnacher! Eine Schule der Dorferneuerung für Schwaben musste her. Aber wo und wie?
Der kunst- und kultursinnige Bezirkstagspräsident suchte ja schon länger nach weiteren Verwendungen für die riesige Bausubstanz des ehemaligen Klosters Thierhaupten, das Gott sei Dank Jahre zuvor ,1983, von der Gemeinde Thierhaupten unter ihrem tüchtigen Bgm. Fritz Hölzl gekauft und gerettet wurde. Mit einer Nutzung durch eine Schule der Dorferneuerung und Landentwicklung konnte er dem bereits existierenden Bauarchiv des Landesamts für Denkmalpflege eine weitere geistig-kulturell weit ins Land hinaus strahlende Idee und Funktion hinzufügen. Dem konnte eigentlich niemand ernsthaft widerstehen. Verbündete mussten aber hierfür noch gewonnen werden, was dem begnadeten Strippenzieher und Netzwerker in den folgenden Monaten glänzend gelang. Auch Magel war auf seiner Seite : bereits einen Monat nach dem Dillinger Seminar , im November 1989, skizzierte er unter dem Eindruck der dabei erhobenen Forderungen nach einem besseren Verständnis für dorfgerechte Bau-und Handwerkskultur den ersten Entwurf zu den Bildungsinhalten einer Schule der Dorferneuerung in Schwaben . Bezüglich Trägerschaft ist bereits vom Bezirk Schwaben bzw. allen bayerischen Bezirken die Rede , zugleich aber von einer Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer Schwaben und dem Landesverein für Heimatpflege.
Am 7. Dezember 1990, also rund ein Jahr später , war es soweit: Erstmals berichtete in einer sofort ins Auge springenden Schlagzeile die Augsburger Allgemeine (AA) , dass eine vornehmlich für die „Fortbildung in alten Bautechniken und im landschaftsgebundenen Gestalten sowie für die Vermittlung der ideellen und sozialen Zielsetzungen der Dorferneuerung“ gedachte Schule der Dorferneuerung im Kloster Thierhaupten geplant sei. Simnacher habe bereits den Kulturausschuß des Bezirkstags von Schwaben von dieser Idee überzeugt . Donauwörths mächtiger Oberbürgermeister und Mehrheitsfraktionschef im Bezirkstag Dr. Alfred Böswald (der übrigens kurze Zeit Magels Gymnasiallehrer in Neuburg war) meinte dazu: „Fast zu schön, um wahr zu sein.“
Es war nicht nur schön , sondern es wurde auch wahr! Und noch eines gelang Simnacher , dem die AA attestiert , dass er „geschickt die Fäden gezogen“ habe : er holte sich beizeiten seinen schwäbischen Landsmann Staatssekretär Josef Miller an seine Seite!
Die Schlagzeile vom 7. Dezember 1990 wurde auch im Ministerium gelesen: 5 Monate nach dem Krach um Plankstetten nun die nächste SDL – dieses Mal in Schwaben! Der ministerial(direktoral)e Zorn kam sofort wieder hoch – er war noch nicht verraucht! Es wurde nach einer Verhinderungsstrategie gesucht. Josef Miller berichtet anlässlich seiner 2016 erfolgten Ehrung durch die SDL, „dass nach den seinerzeitigen Vorstellungen von Minister Hans Maurer und Ministerialdirektor Alfred Schuh die Landvolkshochschulen mit der den SDL zugedachten Aufgabe betraut werden sollten, was aber nicht realisiert wurde“.
Ein knappes Jahr später, am 4. November 1991, war es dann so weit: Die SDL Thierhaupten wurde offiziell gegründet. Und Miller wurde Stellvertreter des Vorsitzenden Simnacher. Er bekannte sich damit offen gegen die Linie von Maurer und Schuh und setzte damit das Umdenken der Ministeriumsspitze in Gang! Man kann es auch so ausdrücken : wenigstens der Staatsekretär hatte das politische und fachliche Gespür für die Notwendigkeit der SDL .
Die Gründung der SDL Thierhaupten erfolgte schneller als in Plankstetten – sicher auch ein Beweis für die politische und organisatorische „Durchschlagskraft“ von Georg Simnacher und seiner überzeugenden Wahl des von Herzog Tassilo gegründeten Klosters Thierhaupten.
Hier wie in Plankstetten und später auch in Klosterlangheim zeigte sich die Idee so wirkmächtig und (be)zwingend, weil mit ihr Funktionen und nachhaltige Nutzung geschichtlich wertvollster landesgeschichtlicher Bausubstanz ideal miteinander verbunden wurden. Wieder einmal hat sich der bekannte Spruch von Victor Hugo erfüllt: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“
Wie sehr das Thema Bau- und Handwerkskultur seinerzeit dominierend war und die ersten Ideen der SDL beeinflußte , zeigt dann auch das allererste Thierhauptener Seminar „Handwerkstradition in der Dorf-und Landentwickung am 25. Juni 1992 , exakt vor 30 Jahren also und nur ein halbes Jahr nach Gründung der neuen Schule. Peter Jahnke , die rechte „Dorferneuerungshand“ Magels , war die zentrale Figur des Seminars!
Die Ministeriumsspitze schwenkt endlich um – Josef Millers Haltung war entscheidend
Inzwischen fand sich auch die Ministeriumsspitze mit den von beiden Schulen geschaffenen Fakten ab: Nur zwei Monate nach Gründung der SDL Thierhaupten , bei der Josef Miller unumkehrbare politische Fakten schaffte , die der Minister ohne Eklat schlecht hätte korrigieren können, aber doch erst 10 Monate nach Gründung der SDL Plankstetten wünschte Minister Hans Maurer im Schreiben vom 8. Januar 1992 Bürgermeister Löhner und seinem Förderverein einen „möglichst großen Erfolg“ und versprach , dass „die DLE Regensburg und die Landwirtschaftsabteilung der Regierung der Oberpfalz auch in Zukunft gerne bereit sind , dazu beizutragen, dass die SDL Plankstetten ein Kristallisationspunkt der ländlichen Bildungs – und Kulturarbeit im Rahmen des Bayerischen Dorferneuerungsprogramms werden kann“. Prompt empfing Abteilungsleiter Günther Strößner schon am 6. Februar 1992 ganz offiziell dieselbe Delegation der SDL Plankstetten noch einmal, die 1 ½ Jahre zuvor nach ihrem Treffen mit Dr. Magel beim Amtschef so viel Wirbel ausgelöst hatte.
Plankstetten startete rund 1 ½ Jahre nach Gründung der SDL am 29./30.September 1992 mit dem ersten Grundseminar , dem sich allein bis Juni 1993 15 weitere Grund – und Fachseminare anschloßen.
Wie selbstverständlich und nie anders gewollt , fand im gleichen Jahr am 19. November 1992 unter Löhners Leitung in Berching die politisch schwergewichtige Auftaktveranstaltung der SDL Plankstetten mit Alois Glück, Heribert Thallmair, Wolfgang Spießl, Hans Roth und rd. 300 Kommunalpolitikern und Verwaltungsangehörigen vornehmlich aus Niederbayern und der Oberpfalz statt.
Alois Glück positionierte sich in seinem damaligen Festvortrag eindeutig:
„Ich betone es noch einmal: Es geht dabei vor allen Dingen um die Initiatoren und Motoren. Darin sehe ich auch den besonderen Wert der Einrichtung „Schule der Dorferneuerung “. Wir müssen den Meinungsführern , denen , die bereit sind , sich zu engagieren, Ermutigung geben. Natürlich nicht nur in dem Sinne, dass wir ihnen auf die Schulter klopfen und sagen, ihr Engagement sei ganz phantastisch und prima. Sondern wir müssen ihnen auch das Rüstzeug geben , damit sie ihren Aufgaben auch gewachsen sind. Zu häufig werden einsatzfreudige Leute verschlissen , weil sie überfordert werden und weil man ihnen zu wenig mitgibt“
Das Eröffnen und große Feiern nahm kein Ende mehr: Am 10. Juli 1993 feierte die SDL Thierhaupten mit dem gerade erst frisch berufenen Landwirtschaftsminister Reinhold Bocklet und dem populären „Dorferneuerungspfarrer“ Walter Friedberger ihre große Eröffnung !
Die richtige Idee zur richtigen Zeit war zurückgekommen in die Klostergemäuer von Thierhaupten oder Plankstetten, den klassischen Orten von ora et labora und – der Vermittlung von Bildung! Der vielbeschworene Genius Loci wurde hier im besten benediktinischen Sinne verwirklicht! Im Gegensatz zu St. Gregor in Plankstetten gibt es allerdings in Thierhaupten kein Gästehaus im Kloster ;Teilnehmer sind deshalb wie auch in Klosterlangheim auf Unterbringung außer Haus angewiesen .
Den Genius Loci der SDL hat Jahre später auch der einflussreiche Landesdenkmalrat unter Vorsitz des unvergessenen Schöpfers des bayerischen Denkmalschutzgesetzes MdL Dr. Erich Schosser beim Besuch von SDL und Bauarchiv Thierhaupten gerühmt.
Der besondere Auftrag der Schulen
Niemand auch konnte das schöner und ausführlicher nahebringen als z.B. der geschichtskundige Bürgermeister und Lehrer Fritz Hölzl beim Besuch von Ministerpräsident Edmund Stoiber im Oktober 1993 oder natürlich „Schwabenherzog“ Georg Simnacher selbst. Bei der Vorstellung des Buches „Kultur – ein Entwicklungsfaktor für den ländlichen Raum“ im klösterlichen Kapitelsaal der SDL Thierhaupten 1994 sagte er zum Auftrag „seiner“ SDL: „Die Schule der Dorferneuerung ist in keinem Bildungsgesetz der deutschen Länder aufgeführt. Sie vermittelt weder einen Bildungsabschluß noch einen geordneten Weiterbildungsgang. Von ihrer Grundidee ist sie eine besondere Form der Fort – und Weiterbildung für Erwachsene. Es geht darum, Fähigkeiten zum Dialog zu entwickeln, um die Dorferneuerung (heute würde man ergänzen Gemeinde-, Ländliche und Regionalentwicklung) als Lernprozess gemeinsam erfolgreich zu gestalten.“
Akademisch tief analysierend und ausführlich vergleichend hat auch Beiratsvizevorsitzender Prof. Franz Schaffer von der Uni Augsburg den Bildungsauftrag der Schulen für Dorf- und Landentwicklung bei der Neukirchner Fachtagung 1993 „Zukunftsperspektiven ländlicher Kulturarbeit“ von Bayerischer Akademie Ländlicher Raum und Leopold Kohr Akademie beschrieben.
So oder so: Die geistigen Grundlagen der SDL waren gelegt! Es war ein wohlbegründetes Fundament.
Und hierbei war und bleibt für mich auch heute noch überragend wichtig: Es geht immer um Kultur sowie um Kultur- und Bildungsarbeit im weitesten Sinne. Es geht um Werte- und Gedächtniskultur, Partizipations-, Planungs- und Entscheidungskultur, Baukultur, Landschaftskultur, Sozialkultur, Kommunikationskulturen etc. – denn Dorf- und Gemeindeentwicklung ist ja nicht allein ein (bau) technischer Vorgang, sondern zutiefst ein gesamtkultureller!
Die Gründung der beiden ersten Schulen der Dorferneuerung und Landentwicklung hat 10 Jahre nach der politischen Geburt des Bayerischen Dorferneuerungsprogramms 1981 den inhaltlich-geistigen Auftrag und Entwicklungsweg der Dorferneuerung vertieft und komplettiert. Ja, mehr noch, die SDL erst haben das Ur – Anliegen der Dorferneuerung „Es geht immer um den Menschen in seinem Lebensumfeld “ nun für jedermann sichtbar gekrönt!
Im allerersten Buchbeitrag über die SDL in Bayern habe ich deshalb in der am 11 . Juni 1992 präsentierten Festschrift zum 60. Geburtstag von Georg Simnacher „Schwaben- Bayern-Europa. Zukunftsperspektiven der bayerischen Bezirke“ geschrieben: „Dorferneuerung und Schulen der Dorferneuerung haben dasselbe Ziel: Stärkung und Realisierung von Eigen – Sinn und Lokalvernunft“.
GA: Die Gründung einer völlig neuen Einrichtung bedeutet , dass man äusserst strategisch vorgehen muss und man hierbei starke Mitstreiter und Partner braucht. Wie ist es Ihnen gelungen, damals die wichtigen und notwendigen Persönlichkeiten aus Politik, Verwaltungen , Wirtschaft , Kammern und Verbänden mit ins Boot zu bekommen? Gab es Widerstände oder waren alle von Anfang an begeistert?
HM: Wir haben ja gerade gehört, dass am Anfang die Idee stand , und dass es dynamische Personen waren, die sie umsetzen wollten. Aber es war klar, dass zur Umsetzung externe und vor allem politisch anerkannte und einflussreiche Mitstreiter notwendig waren, denn Widerstände gab es genug. Der seltsamste kam wie dargelegt aus dem Ministerium selbst, weil man befürchtete, dass diese neuen Schulen den Landwirtschafts- und Landvolkshochschulen Konkurrenz machen würden. Und nachdem das geklärt war, war man trotzdem noch einige Zeit schmollend dagegen, weil es ja eine Idee war, die nicht vorher im Ministerium hierarchisch und zwischen x Abteilungen hin und her diskutiert und abgewogen, womöglich auch verwässert wurde, sondern wie ein Blitzschlag von außen kam. Der schon öfters wegen unkonventioneller Gedanken unangenehm aufgefallene Dorferneuerungsreferent Holger Magel wurde schnell als entscheidender Urheber des Blitzschlags ausgemacht und manchem Kreuzverhör unterzogen. Ich habe darüber ja schon des Öfteren berichtet, auch anläßlich meiner Ehrung beim Festakt der SDL Thierhaupten 2012.
Letztlich waren die politischen Schwergewichte Georg Simnacher, der sehr taktisch dachte und den mächtigen Fraktionsvorsitzenden Alois Glück und den mutigen Josef Miller sowie die Presse voll auf seine Seite zog, und Albert Löhner mit seiner politischen Urgewalt und alle Gegner dominierenden hohen Intellektualität die entscheidenden und mit ihrer Begeisterung viele ansteckenden Players.
Der fränkische Sonderweg
Die Idee zur fränkischen Schule entstand auch im besonderen Jahr 1991 , nämlich am 27.Juni. DLE Präsident Heribert Haas berichtet 10 Jahre später über diesen denkwürdigen Tag : „Bei einer Besichtigungstour oberfränkischer Dorferneuerungsergebnisse durch Herrn Professor Dr. Magel , den damaligen Dorferneuerungsreferenten am Bayerischen Staatsministerium für Ernährung , Landwirtschaft und Forsten , im Juni 1991 zeigte Herr Präsident Rahn diesem den Ort Klosterlangheim und wies auf die geplanten Vorhaben in Klosterlangheim hin , und es wurde auch über künftige Nutzungen des noch instandzusetzenden Eckhauses des Konventbaus des früheren Zisterzienserklosters gesprochen. Herr Professor Magel schlug dabei die Einrichtung einer dritten Bayerischen Dorferneuerungsschule in Klosterlangheim vor.“
Das Entsetzen im fernen Münchner Ministerium über die entsprechende Zeitungsmeldung am nächsten Tag schien gering verglichen mit jenen von Plankstetten und Thierhaupten in 1990 ausgelösten Schockwellen. Zu überzeugend und gewinnend waren wohl die Idee , hier die dritte (aber auch letzte) weiß – blaue SDF mit vereinter Hilfe von Stadt und Landkreis Lichtenfels und Mitteln von Bezirksregierung , Bezirk und DLE zu errichten. Vor allem beeindruckte das Trio Regierungspräsident Dr. Erich Haniel, Bezirkstagspräsident Edgar Sitzmann und Bgm. Winfred Bogdahn von Lichtenfels , das sich mit enormer politischer Power für die Idee der SDF einsetzte und mächtig anschob. Überdies ging es ja nun um eine Art nachholende „Wiedergutmachung“ für das bisher leer ausgegangene Franken – ob selbst verschuldet oder nicht. Dies hinderte den Chef der Verwaltung allerdings nicht , Bruno Rahn wie dieser sich heute noch lebhaft und durchaus empört erinnert- zu rüffeln , nachdem dieser auf Anforderung von Dr. Haniel in einem wenige Monate später folgenden Symposium im Oktober 1991 öffentlich seine im übrigen recht spannende 10 Jahresvision über die künftige SDF Klosterlangheim entwickelte. Rahn musste sich – gegen seine Überzeugung – weisungsgemäß zurückhalten – obwohl der Minister ja schon umschwenkte und wie erwähnt in Beantwortung des Schreibens von Löhner vom 25.Oktober 1991 wenig später der SDL Plankstetten und den beteiligten Verwaltungen (!!) vollen Erfolg wünschte! Die SDF Klosterlangheim aber sollte ohne Hilfe der DLE entstehen und aufgebaut werden?! Fortan fühlte sich die SDF Klosterlangheim von Ministeriums- und anderen Vorgaben fränkisch frei!
Wieder wallfahrtete eine Delegation nach München
Es half auch hier die Bremserei nicht : der Geist war längst aus der Flasche! Das Ministerium musste sich endgültig den Fakten beugen: Minister Hans Maurer gab im Juli 1992 der in den Landtag wallfahrtenden und gut vorbereiteten Delegation mit Regierungspräsident , Bezirkstagspräsident und Bürgermeister von Lichtenfels Bogdahn an der Spitze (ohne Rahn!) sofort grünes Licht! Alle waren nun zufrieden, der fränkische Minister eingeschlossen. Er erhielt nun „seine“ fränkische SDF Klosterlangheim, die am 29. September 1993 mit Winfred Bogdahn und Holger Magel als Festredner feierlich gegründet wurde und nun für alle drei fränkischen Regierungs- und Direktionsbezirke zuständig war. Nur: als amtierender Minister konnte Hans Maurer die eindrucksvolle Gründungsversammlung im Stadtschloß von Lichtenfels nicht mehr genießen. Mit dem Seminarbetrieb und Stammreferenten aus der Verwaltung (!) wurde im Mai 1994 begonnen : es war ein Grundseminar „Dorferneuerung“ für die Ortschaft Kleukheim , Stadt Bad Staffelstein im heimischen Landkreis Lichtenfels.
1997 konnte die SDF nach Jahren des Provisoriums im Gasthaus „Klosterhof“ endlich den renovierten Konventbau nach glanzvoller Eröffnung durch Staatsminister Hans Zehetmair beziehen.
Man sieht, es war ein langer Weg für alle – den längsten allerdings brauchte die Ministeriumsspitze!
GA: Auf welche Personen bzw. Personengruppe haben Sie damals gesetzt, damit der Start gelang?
HM: Wie erwähnt zunächst auf die Kommunalpolitiker aus Bezirken, Landkreisen und Gemeinden, aber ebenso von Anfang an auf die Denkmal- und Heimatpfleger, die schnell Verbündete wurden. Darüber haben Magel/Ewald in ihrem Beitrag „Vom Dorf in die Region“ in Heft 4/2021 der Schöneren Heimat ausführlich berichtet. Die Denkmal- und Heimatpfleger hatten ja auch Probleme, dass die Politiker und Bürger ihre Anliegen nicht bzw. nur schwer verstanden. Dann die Handwerkskammern, vor allem auch die Zimmerer, die Architektenkammer, was im Falle von deren Vertreter Maximilian Meinel ein unglaublicher Glücksfall für die SDL Thierhaupten war, Universitäten, Verwaltungen inkl. OBB, aber ebenso noch viel weitere Verbände und Institutionen wie Bauernverband, Banken, Kirchen, Gemeindetag, Landkreistag sowie die Landvolkshochschulen, die zunächst zögerten, was denn da womöglich als Konkurrenz Neues entstehen würde usw.
Im Thierhauptener Beirat, dessen Gründungsvorsitzender ich ja war, haben wir all diese Partner und Aspekte, die im ländlichen Raum und im Dorf von Bedeutung sind, integriert und fachlich abgebildet.
Ohne die Ländliche Entwicklung hätten die SDL nicht durchgehalten!
Eine besondere Rolle haben natürlich meine eigenen KollegInnen von den Direktionen für Ländliche Entwicklung gespielt, die unglaublich engagiert mitgemacht haben. Am 19.Januar 1993 kam es im Ministerium zu einer großen programmatischen Besprechung mit den Geschäftsführern Rosenbeck ,SDL Plankstetten und Bschor ,SDL Thierhaupten sowie Vertretern der DLE Regensburg , Krumbach und – in Erwartung der noch im Aufbau befindlichen Schule in Klosterlangheim- auch Bamberg. Ich habe mir den Ergebnisvermerk dazu nochmals angesehen: es ging um das künftige Seminarangebot in Form von Grundseminaren (Methodenwissen , Leitbildarbeit) sowie um Fach- und Sonderseminare. Ich habe damals die SDL gedrängt, verstärkt Themen der Landschaft und Ökologie im Programmangebot aufzunehmen und dazu den Fachbeirat um entsprechende Experten der Landschaftsökologie zu verstärken. Auch wurde von der erfolgreichen Ausbildung der Stammreferenten an der Führungsakademie sowie dem Wunsch nach hauptamtlichen Geschäftsführern sowie zusätzlichen Moderatoren aus Landau gesprochen.
StS Josef Miller ,der in seinen ersten Berufsjahren an der FüAk tätig war und von daher einen besonderen Bezug zur Erwachsenenbildung hatte, war bei dieser zentralen Besprechung im Januar 1993 auch dabei: er bezeichnete die SDL als geistige Zentren mit Multiplikatorfunktion und „als Glanzpunkt der Dorferneuerung“. Sein Wunsch war , dass sie langfristige Institutionen bleiben mögen .
GA: Wie kam es zur Namensgebung dieser Schule, handelte es sich doch nicht um eine Schule im herkömmlichen Sinn?
HM: Das ist kurz zu beantworten: zum einen war der Name schon existent durch die Schule der Dorferneuerung in Michaelbeuern. Wir haben ihn allerdings unserer bayerischen weiterentwickelten Praxis gemäß um den wichtigen und größere Spielräume eröffnenden Begriff Landentwicklung ergänzt.
Zum anderen liefert uns Simnacher im bereits erwähnten Festvortrag von 1994 die Erklärung, warum wir diesen Begriff trotz Einwendungen beibehalten haben: „So musste man im Vorfeld der Errichtung (gemeint war: der SDL) um den schlichten Begriff „Schule“ ringen – auch mit jenen, die den Namen für die herkömmlichen Schulen in unserem etablierten Bildungssystem reserviert sehen wollten. Das Einfache ist in der Tat oft schützenswerter als anderes mit anspruchsvoller Bezeichnung. Der Bildungsgeschichte sind allerdings Schulen spezifischer Art ohne eigentlichen Bildungsabschluß nicht fremd. Aus dem
Bereich der Landschaftspflege etwa ist uns der Begriff der Baumschule geläufig, ein zunächst fernliegender Vergleich, der dennoch nicht ganz so falsch ist, denn auch ein Baum muß zunächst seine Wurzeln geschlagen haben, ehe er in freiem Wachstum den klimatischen Bedingungen freigegeben werden kann. Eine Schule zum Wurzeln-Schlagen für die Bildungsaufgaben der Dorferneuerung ist durchaus angestrebt.“
GA: Warum waren Sie davon überzeugt, dass die Kommunen und die Kommunalvertreter*innen diese Einrichtung annehmen würden?
HM: Ich war ja als Dorferneuerungschef, als Akademiepräsident, als Redner und Buchautor ständig im Kontakt mit ländlichen Gemeinden. Vor allem bei meinen mehr oder weniger gefürchteten ministeriellen Dorferneuerungsprüfungen vor Ort habe ich die Defizite im Wissen über und im „handling“ von ganzheitlichen, partizipativen und mit Alternativen arbeitenden Planungen und Entscheidungen kennengelernt. Zudem habe ich im Laufe meines Berufslebens gelernt, Netzwerke zu bilden und sie zu pflegen. Daraus erwuchsen stabile, oft gar freundschaftliche Beziehungen insbesondere mit vielen Gemeinden und Landkreisen und deren Repräsentanten. Vor allem von meinem Freund Jürgen Busse, dem einflussreichen späteren Direktor des Bayerischen Gemeindetags, und „Leuchtturmbürgermeistern“ wie Wolfgang Spießl (Stamsried), Ludwig Mörtl (Andechs), Willibald Kessler (Lupburg), Rudolf Scharpf (Irsee), Helmut Hart (Karbach), Hermann Lindner (Leuchtenberg), Dominikus Weiß (Polling), Michael Bachmaier (Arnstorf) , Rudolf Zündt (Roßhaupten), Heimo Schmid (Bernbeuren) sowie ganz besonders Michael Pelzer (Weyarn) und vielen mehr wusste ich, dass die SDL von den Kommunen gerne angenommen werden würden und dann auch wurden. Mit Rat und Tat geholfen haben auch planerische und in der Kommunalszene erfahrene „Schwergewichte“ wie Maximilian Meinel oder Fritz Auweck. Natürlich mussten dazu wichtige finanzielle Fragen geklärt werden. Hier hat sich MR Hermann Schatt, der seinerzeitige „Finanzminister“ der Bayerischen Flurbereinigungsverwaltung, unsterbliche Verdienste erworben.
Wie sehr die Kommunalszene Bayerns die SDL angenommen haben und unterstützen , sieht man ja auch an der Mitwirkung mancher prominenter Vertreter in Vorstand und Beirat der Schulen. Wichtig für sie und die Bürger ist aber auch , dass von Anfang an die Chefs der Direktionen , nun Ämter für ländliche Entwicklung , als stellv.Vorsitzende ,Vorstandsmitglieder oder Beisitzer der SDL sichtbar institutionelle wie auch fachliche Verantwortung übernommen haben. Im Moment sind das Christian Kreye und Josef Holzmann bei der SDL Thierhaupten , Kurt Hillinger , Hans Peter Schmucker ,Thomas Gollwitzer und Frank Langguth in Plankstetten sowie Lothar Winkler , Wolfgang Neukirchner und Jürgen Eisentraut in Klosterlangheim. Nach dem Tod von Albert Löhner fungiert Huberta Bock nun sogar als Vorsitzende der SDL Plankstetten!
GA: Die Schulen der Dorf- und Landentwicklung an den drei bayerischen Standorten sind heute in der Landschaft der bayerischen Bildungseinrichtungen wohl unbestritten. Anfangs ging es unter Ihrer aktiven Steuerung als langjähriger Vorsitzender des Fachbeirats hauptsächlich um das Thema partizipative und komplexe Planungs- sowie Leitbildprozesse in den Verfahren der Dorferneuerung und Flurneuordnung , danach der Integrierten Ländlichen
Entwicklung , doch die SDL Thierhaupten , der Sie nach wie vor als Ehrenmitglied und einziger Träger der Diamantenen Ehrennadel besonders verbunden sind , hat danach viele weitere Themenfelder entwickelt: Innenentwicklung, Biodiversität, Energiewende, Demographie und Generationen, Nahversorgung und Qualifizierungsveranstaltungen; aber auch die Themen Kommunikation und Bürgerräte sind heute im Portfolio der SDL Thierhaupten enthalten.
Wenn Sie als „Vater der SDL“ auf diese dreißigjährige Entwicklung blicken: Gibt es für Sie Grund zum Feiern und zufrieden sein? Nachdem Sie in dieser Zeit endgültig vom Ministerium zum Hochschul(lehrer)fach gewechselt sind und mit Bewertungen und Noten ständig umgehen mussten: Wie sieht Ihre Benotung aus? Gibt es einen Verbesserungsbedarf?
HM: Darauf gebe ich gerne eine Antwort: Es gibt wahrlich viel Grund zum Feiern und zufrieden sein! Nicht nur, weil die SDL durchgehalten haben , sondern so durchgestartet sind und sich durchgesetzt haben, dass sie aus der bayerischen Landschaft der Gemeinde- und Landentwicklung nicht mehr wegzudenken sind. Sie sind ein grandioses Beispiel für ein „Land der Ideen und Innovationen“! Immerhin ist Thierhaupten ja auch im bundesweiten Wettbewerb dafür ausgezeichnet worden.
Zu den besonderen Innovationen zähle ich auch die von Löhner mit großem Auftritt am 26.1.2007 zelebrierte „School of Good Governance“ als Teil der SDL Plankstetten. Eröffnungsreferenten im Beisein von Bischof Gregor Hanke waren immerhin Benediktiner Generalabt Notker Wolf, Präsident Uwe Brandl und Holger Magel
Heute muss der Auftrag zu Ideen und Innovationen mehr denn je gelten, nachdem der reformwütige Bayerische Staat in einer der für mich größten politischen Fehlentscheidungen im Jahr 2000 die Ortsplanungsstellen aufgelöst und damit den ländlichen Gemeinden und ihren Bürgern unentbehrliche fachliche Beratung weggenommen hat. Auch der Dorferneuerung ging damit ein zwar oft unbequemer, aber essentiell wichtiger und aufrüttelnder Partner verloren. Viele Fehler in unseren allerersten Dorferneuerungen aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm Ende der 70er /Anfang der 80er Jahre sind dank Männern wie Bruno Gutknecht oder Hans Clamroth etc. verhindert worden.
Das Ergebnis dieser heute fehlenden und deshalb von Gemeindetag und Akademien wieder geforderten Beratung kann man tagtäglich in Dorf und Landschaft „bewundern“. Ich zitiere dazu mit immer noch großem Ärger über diese Fehlentscheidung der Reformer um MP Stoiber den großen Dieter Wieland aus seinem Festvortrag „Bayern ist ein Kulturstaat“ am 9. Dezember 2016 im Bayerischen Landtag (der die Abschaffung leider toleriert hat):
„Die Staatsregierung entmachtete ihre eigenen staatlichen Kontrollbehörden oder schaffte sie gleich ganz ab. Wie die Ortsplanungsstellen bei den Regierungen. Wozu Ortsplanung? Die Planungshoheit, die Entscheidungshoheit wurde an die Unteren Behörden delegiert, Landrat, Bürgermeister und Räte entscheiden. Kreisbaumeister, wozu einen Kreisbaumeister, das kann auch ein Verwaltungsjurist entscheiden, wie Baukultur in Bayern aussieht. Baubeschleunigungsgesetze. Der Bürger ist mündig und weiß ganz genau, wie sein Haus aussehen muss – krebsrot und im Toskanastil.“
Die SDL müssen da jetzt vieles mit Kreativität, Innovation und Kompetenz kompensieren und steuern. Diese fachliche Kompensation galt und gilt auch in der politisch gewollten sog. Einfachen Dorferneuerung, bei der plötzlich alte Gewissheiten wie intensive Bürgerbeteiligung und Leitbildarbeit nicht mehr gelten sollten.
Wenn ich eine Note zu vergeben hätte , würde ich ein glatte Eins vergeben mit dem Kompliment: Die SDL Thierhaupten – und ich hebe sie nun mal bewusst heraus, da sie unser Flaggschiff ist – hat deshalb einen so guten Ruf, weil sie sich als Stätte vorwärtsweisender Auseinandersetzungen bewährt hat und – hier benutze ich ein Zitat von Prof. Ulrich Hommes – dabei immer eines beachtet hat: „den Nerv zu treffen, den Nerv der Zeit, den Nerv der Menschen, den Nerv der Dinge – dies nicht, um einander auseinander zu dividieren, sondern um einander zusammenzubringen.“
Jeder, der jemals an der SDL Thierhaupten war und das gilt auch für die beiden anderen ebenfalls mit großem Zuspruch arbeitenden SDL , kann genau dieses (be)glückende Zusammenbringen zum Wohle der Menschen und ihrer Gemeinden und Regionen bestätigen!
Der absolute Glücksfall Gerlinde Augustin
Und jeder Besucher der SDL Thierhaupten weiß, dass seit Jahrzehnten – als Nachfolgerin des verdienstvollen ersten Geschäftsführers Günter Bschor – Gerlinde Augustin die Seele und der Motor des ganzen Betriebs und Erfolgs ist. Sie hat hier ihre Lebensaufgabe gefunden und wenn nötig auch wie ein Löwin darum gekämpft. Sie ist eine faszinierende Mischung von fachlicher Kompetenz und Innovationskraft (unvergessen ihre Anregung zu eigenen Bürgermeisterinnenseminaren), organisatorischen Managementfähigkeiten und hohem „schwäbischen“ Geschäftssinn (2021 war trotz Corona das erfolgreichste SDL Jahr seit Bestehen!). Und noch eines kommt hinzu: bei allem hat sie stets menschliche, ja fast mütterliche Wärme und Fürsorge ausgestrahlt, so dass sich jede(r) auf Anhieb im „Kloster“ zu Hause fühlen konnte. Und noch etwas möchte ich herausstellen: Gerlinde Augustin hat stets auf die „Familie der drei bayerischen SDL“ geachtet und für einen einander bereichernden Erfahrungsaustausch gesorgt.
Wenn ich nach einem Verbesserungsbedarf gefragt werde , und da bin ich mir mit manch anderen treuen Weggefährten der SDL einig, spreche ich die Zusammensetzung des Fachbeirats an: Nachdem die SDL sich thematisch und methodisch längst erfolgreich neuen Bereichen zugewandt hat, sollte das auch im Beirat abgebildet werden, der m.E. personell noch zu sehr den Bereich der Ländlichen Entwicklung widerspiegelt. Warum nicht Vertreter der so wichtigen Kommunen oder des Städtebaus, der Landschaftsplanung, Landnutzung und Wasserwirtschaft (Stichwort Grüne und Blaue Infrastrukturen), der Resilienzforschung oder des Wettbewerbs „Unser Dorf hat Zukunft“ in den Beirat aufnehmen? Ganz besonders denke ich auch an die immer wichtiger gewordenen Energie- und Klimaschutzagenturen etc.? Und noch eines: Auch der Beirat und seine Mitglieder sollten wie z.B. in Klosterlangheim auf der webpage der schwäbischen SDL als Kompetenznachweis sichtbar zu sehen sein.
GA: Nicht nur Bayern hat solche Bildungseinrichtungen, die ländliche Strukturen unterstützen. Sie kennen sicher manche in ganz Deutschland, Europa und weltweit. Ist das bereits ein Beweis für den Triumph der Neuen Verantwortungsgemeinschaft von Staat, Kommunen und Bürgern und einer Aktiven Bürgergesellschaft?
HM: Zumindest für Bayern und Deutschland und die Mitglieder des Europäischen Bildungsforums für Ländliche Entwicklung möchte ich das schon so sehen: Ja, wir praktizieren und fördern die von unserem Fachbeiratsmitglied Alois Glück propagierte Neue Verantwortungsgemeinschaft und Aktive Bürgergesellschaft, die trotz momentan wieder starker Rufe nach mehr Staat zeitlos wichtig, ja unersetzbar bleiben, gerade im Hinblick auf finanzielle Begrenzungen und Forderungen nach resilienteren Kommunen. Wir können natürlich stolz darauf sein, dass wir die ersten in Deutschland waren, die professionelle SDL gegründet sowie dauerhaft betrieben und genutzt haben; ich sehe gute Beispiele z.B. in Tschechien, aber auch Schulen, die mehr oder weniger nur auf dem Papier bestanden haben oder wieder eingegangen bzw. aufgegangen sind in anderen Bildungseinrichtungen wie dies in Salzburg oder in Brandenburg geschehen ist.
Weitere Vergleiche verbieten sich m.E. angesichts total unterschiedlicher Strukturen. Wir hatten das Glück, dass die Kontinuität und finanzielle Stabilität z.B. der SDL Thierhaupten entscheidend durch das überaus populäre Dorferneuerungsprogramm und die neuen ILE Initiativen sowie durch den Bezirk Schwaben , die Verwaltung für Ländliche Entwicklung und einen starken und zuverlässigen Gemeindetag abgestützt waren und sind. Plankstetten und Klosterlangheim sind wiederum anders konstruiert. Die bei allen geschickte Organisation und das angestrebte hauptamtliche Management der SDL mitsamt Gewinnung hervorragender Moderatoren aus Verwaltung und freiem Beruf machen die bayerische Lösung, die ja sogar China interessierte, besonders attraktiv und zukunftsfest. Natürlich schliesst das wichtige inhaltliche und institutionelle Weiterentwicklungen nicht aus.
Beispiel China: hier zeigen sich die Grenzen einer SDL nach bayerischer Art. Holger Magel machte bereits 1994 den Vorschlag zur Gründung einer solchen Einrichtung ,nachdem ja auch im chinesischen Dorf „basisdemokratisch“ geplant werden kann. Nachfolgend studierte manche chinesische HSS Delegation die SDL Thierhaupten vor Ort.
Als nach 10 jähriger Inkubationszeit 2004 die chinesische Einrichtung BFL (Bildungs-und Forschungszentrum für Flurneuordnung und Landentwicklung) gebaut und vom Pekinger Ministerium und der Provinz unter ihre „Fittiche“ genommen wurde, mutierte sie plötzlich zu einer besseren Führungsakademie nur für Politkader, Bürgermeister und Beamte – nicht aber für Bürger!
GA: Abschließend die Frage nach der Zukunft Ihres „Kindes“, das inzwischen voll erwachsen und wie man so schön sagt im besten Alter ist. Wie schätzen Sie die Bedeutung der Schulen der Dorf- und Landentwicklung zukünftig ein? Gibt es noch Themen, die Sie als notwendig oder zukunftsweisend erachten und die aus heutiger Sicht noch kaum eine Rolle bei den Gemeinden bzw. Verwaltungen spielen? Und die wir an den SDL künftig schultern sollten? Sind die Schulen der Dorf- und Landentwicklung dafür gut genug aufgestellt oder was muss möglichst sofort getan werden?
HM: Ich habe es ja schon gesagt: Ich sehe die Zukunft der SDL sehr positiv oder um meine Aussage aus meinem Festvortrag zum 10 jährigen Geburtstag der Thierhauptener SDL „Der Bürger als Experte und Partner. Zu den Visionen, Aufgaben und Rollen der Schulen der Dorf-und Landentwicklung“ am 21.6.2002 zu wiederholen : „Wenn es die SDL nicht schon gäbe, müsste man sie sofort gründen!“
Auch am 30. Geburtstag von Thierhaupten gilt unverändert, ja noch viel mehr, was Michael Pelzer bei seinem Grußwort am selben Tag gesagt hat:
„Thierhaupten – das ist auch Aufbrechen alter Grenzen, weil es ein anderes Herangehen an die Gestaltung der Aufgaben gibt. Da geht es nicht darum, Grenzen zu vergessen oder Unterschiede zu verwischen. Aber zielorientiert, partizipativ definiert und deshalb von Respekt und Nachdenken geprägt an Gestaltung herangehen.
Und vielleicht gelingt es ja auch den Verwaltungen, sich auf Prozesse einzulassen und Ressortegoismen partizipativ zu überwinden. Auch dazu leistet Thierhaupten seinen Beitrag.
Und dazu noch etwas: Thierhaupten war und ist die Verbindung von solider Arbeit und lustvoller Leidenschaftlichkeit. Hier lernt man, dass Politik nicht langweilig sein muss. Sie darf, soll und muss auch Spaß machen. Dazu fällt mir der Abschiedssatz von Herbert Wehner aus dem Bundestag ein, der gesagt hat: „Verzeihen Sie mir meine Leidenschaftlichkeit. Ich hätte Ihnen die Ihre auch gerne verziehen.“
So ist Thierhaupten für mich ein Ort, eine Idee, an dem wir inspirierende Beispiele finden können. Politik braucht solche Erfahrungsschulen. Politik braucht Bildung. Bildung kommt von Bildern, den eigenen und anderen. Wir haben Vertrauen in die Menschen, in ihren Gestaltungswillen, ihr Hinsehen können, ihr Mitmachen wollen.
Und davon ausgehend gehen wir mit ihnen gemeinsam den Weg der Bestandsaufnahme, des Erkennens der eigenen Wurzeln und Potentiale, der Chancen und Ressourcen.“
Inhaltlich wissen die Praktiker der Verwaltung sowie die vielgeprüften Kommunalpolitiker natürlich am besten, welche Themen und Herausforderungen heute besonders aktuell sind und angesichts der nicht nur sicherheitspolitischen Zeitenwende neu zu meistern und an allen drei SDL mit ihren speziellen Kompetenzen und Alleinstellungsmerkmalen zu bearbeiten sind im Sinne von „den Nerv treffen.“ Das alle drei Schulen und die Verwaltung für Ländliche Entwicklung einschliessende SDL Forum unternahm ja dazu am 06./07.11.2019 in Thierhaupten eine große, extern moderierte „Bestandsaufnahme“ mit Moderatoren, Vertretern der ALEs und des StMELF zur aktuellen Situation und zur der Schulen in Bayern. Ein Jahr später , am 14. Dezember 2020 , ging es um die strategische Weiterentwicklung der Schulen.
Mein Standpunkt dazu ist klar, und er gilt m.E. mehr denn je angesichts der gestiegenen Komplexität unserer Welt, der Grenzen staatlichen Handelns und damit verbundener (Hilfe)Rufe nach mehr Partizipation und Bürgermitsprache einerseits und der schwindenden Wahlbeteiligungen und daraus folgender Notwendigkeit zu wenigstens mehr lokaler Beteiligung andererseits: Wir brauchen den Bürger als Partner und Experten im eigenen Lebensraum. Dazu müssen wir ihn zu mehr aktiver Beteiligung ermuntern und motivieren und ihm die Gelegenheit bieten, die notwendigen Methoden des Analysierens und Erkennens, die systemischen Planungsabläufe und Zusammenhänge und die immer schwierigeren Abwägungen und Entscheidungsfindungen zu verstehen und nachzuvollziehen sowie das know how hierzu vermitteln.“
Gleiches gilt übrigens auch für Gemeinde – und Kreisräte, denn Gott gegeben oder allein durch die Wahl verfügen sie nicht a priori über diese Kompetenz. „Learning by doing“ mag vielfach unumgänglich sein, aber „learning by coaching“ ist besser und zukunftsfähiger!
Unbestreitbar bleibt und ist also auch künftig die wichtigste Aufgabe der SDL, Phänomene und Situationen zu erklären, Lösungen zu suchen, prozesshaftes gemeinsames Vorgehen zu fördern sowie „Pioniere und Begleiter des Wandels“ zu entdecken und zu stärken, um – nur ein Beispiel aus unserem jüngsten beruflichen Umfeld – z.B. in Initiativen wie HeimatUnternehmen oder auch beim hochaktuellen Klimarelevanten Moorschutz die notwendigen, nachhaltig in die Zukunft weisenden Impulse zu setzen.Die traditionellen Plankstettener Gespräche und der alljährliche Thierhauptener Advent oder auch Jubiläumsfeiern wie zuletzt die 25 jährige in Klosterlangheim sind gute Formate , solche Fragen öffentlich zu reflektieren.
Die große Transformation erklären und umsetzen helfen
Als ganz große neue Herausforderung sehe ich jetzt und in nächster Zeit die sog. Große Transformation, von der alle Welt, auch unsere Bayerische Akademie Ländlicher Raum, spricht, aber von der m.E. noch zu viele zu wenig wissen, wie sie auf kommunaler und Landesebene (Stichwort neues Landesentwicklungsprogramm Bayern) aussieht – aussieht im Bereich von Klima, Energie, Ressourcen- und Artenschutz, Biodiversität, Landschaftsgestaltung, Digitalisierung und Mobilität, räumliche Gerechtigkeit in Stadt und Land etc. Wie kann man das alles systemisch zusammenbringen und herunterbrechen auf für Gemeinderäte, Wirtschaftstreibende und Bürger nachvollziehbare Denkmodelle, Diskussionen und Handlungskonzepte? Wie in ILE, Regionalpläne etc. integrieren? Dies erfordert natürlich zuvor Theoriearbeit des SDL Beirats, wie es z.B. das von Peter Jahnke und Otto Kurz entwickelte Konzept der IDZ (Individuelle Daseinsvorsorge Zellen) darstellte. Dazu muss sich wie bereits angeführt der Beirat fachlich verstärken, denn hier geht es auch um viel naturwissenschaftliches und planerisches Wissen, weniger zunächst um Moderation und Befähigung für herkömmliche Entwicklungsprozesse. Im Beirat von Klosterlangheim wirkt nun dazu der die Große Transformation vehement fordernde Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum Manfred Miosga mit.
Und noch eine Notwendigkeit sehe ich: Ständig – und nun erst recht – fachlich weiterbilden und methodisch stärken müssen sich auch die Stammreferenten oder Moderatoren der SDL, um wie schon gesagt die für viele noch zu allgemein formulierten Ziele der Transformation anschaulich, verstehbar und operationabel durch- und herunter zu deklinieren auf die konkrete Handlungsebene, ohne aber den systemischen Zusammenhang und die vielfältigen Vernetzungen außer Acht zu lassen. Hier wünschte ich mir nochmals einen jungen Peter Jahnke, dessen besondere Talente auf diesem Gebiet ich ja auch in China, der Türkei , Kambodscha oder in den Neuen Ländern schätzen lernte .
Apropos Vernetzungen: Mir ist nach wie vor unerklärlich, warum die mit so viel Hoffnung und Begeisterung gestarteten Agenda 21 Aktivitäten (es waren über 800 Gemeinden in Bayern, die von meinem Lehrstuhl evaluiert wurden) – von einigen verbliebenen A 21
Gruppen oder den „21 Nachhaltigen Gemeinden“ abgesehen – so sang- und klanglos eingegangen sind. Hier war doch schon alles einmal hinsichtlich systemisches und vernetztes Denken grundangelegt. Jetzt muss es unter verschärften Bedingungen nochmals von vorne losgehen.
Die SDL sind auf Grund ihrer Erfahrung im vernetzten Denken besonders prädestiniert, zum Vorreiter der Großen Transformationsdiskussion und -umsetzung zu werden.
M.E. sollten sich deshalb nun die drei bayerischen SDL zusammen tun, um vor diesem ein-und erstmaligen Hintergrund eine landesweite Informationskampagne zu starten und zu signalisieren, dass sie den Regionen, Kreisen und Kommunen bei der Bewältigung der Umstellung unserer nun wohl überholten Lebens- und Wirtschaftsmodelle helfen können.
GA: Welchen Ratschlag geben Sie den verantwortlichen Landes-und Kommunalpolitikern und Führungskräften in der Verwaltung?
Mein Ratschlag an Politik und Verwaltung in Bayern lautet deshalb: Nichts ist nun wichtiger, als sich endlich voll dem Thema Transformation zu widmen und deren konkrete Herausforderungen in vielen Bereichen unserer Kommunen, Wirtschaft und Gesellschaft zügig zu erkennen und ihnen durch die richtigen Strategien und Maßnahmen zu begegnen. Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren. Wir sind nicht mehr der Zeit voraus, sondern weit hinterher!
Unterstützen Sie die SDL so stark wie nur möglich, damit diese diesem neuen überragend wichtigen Bildungsauftrag nachkommen können. Sorgen Sie dafür, dass die SDL personell und finanziell stabil ausgestattet sind. Langfristig und multiplikatorisch sind nämlich Investionen in die Köpfe , d.h. in die Bildung und Beratung und damit in ein verändertes „Mindsetting“ der Menschen wichtiger als manche (zu?) hoch geförderte Platzgestaltung oder Wege , auch wenn die Übergabe von Förderbescheiden oder die Einweihung der Anlagen so verlockend reizvoll ist für öffentliche Auftritte und Fotos. Vergessen Sie nicht: Das gewonnene neue verantwortliche Wissen und Handeln kommt schließlich allen Menschen und ihren Dorf-, Gemeinde- und Ländlichen Entwicklungen zu Gute!
Abschließend gratuliere ich allen ehemaligen und gegenwärtigen Mitstreitern für die Idee der SDL herzlich zu diesem einmaligen gemeinsamen Erfolg! Lassen Sie ihn uns gebührend feiern und auf eine stabile und gute Zukunft der SDL hoffen!
Interview und Bildmaterial: SDL Thierhaupten
Anhang: