Im Kloster Ettal wurde vor kurzem vom Haus der Bayerischen Geschichte die Landesausstellung „WALD, GEBIRG UND KÖNIGSTRAUM – MYTHOS BAYERN“ mit einem feierlichen und ökumenischen Gottesdienst eröffnet. Die dabei von Frau Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler gehaltene Predigt nachfolgend im Wortlaut zum Nachlesen und Nachdenken:
Liebe Schwestern und Brüder,
eine Schülerin, befragt was sie von der Geschichte vom brennenden Dornbusch weiß, setzte folgendermaßen an: „Mose kam zu einem gebirgigen Ort. Da stand ein Schild mit der Aufschrift ‚Bitte Schuhe ausziehen!‘“ Ich habe mich damals, als Lehrerin, königlich amüsiert. Denn die junge Dame hat mit Feuereifer in ihre Lebenswirklichkeit übersetzt, was die Geschichte vom brennenden Dornbusch sagen will – dass Gott sich Mose offenbart hat und der Ort, an dem dies geschah, ein heiliger Ort ist.
In dieser kurzen Szene ist schon viel von dem drin, was wir in den nächsten Monaten mit der Landesausstellung bedenken. Berge, Wälder, die hoffentlich nicht brennen und königliche Träume oder ein ebensolches Amüsement. Und ein Gott, der mit Holz eine Menge anzufangen weiß. Schließlich hat er zuvor schon Bäume ins Paradies gesetzt, eine Arche aus Holz bauen und sich Altäre aus Holz gefallen lassen. Aber natürlich gibt die Geschichte vom brennenden Dornbusch noch viel mehr für uns her.
Mose steht vor dem brennenden Dornbusch. Es brennt auch an vielen Stellen in unserer Heimat. Die Schere von Armut und Reichtum klafft immer weiter auseinander. Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus nehmen zu. Wir in den Kirchen bemühen uns wie viele staatliche Stellen darum, aufzufangen, was in anderen Bereichen – im Elternhaus, im Zusammenspiel zwischen Beruf und Familie nicht mehr geleistet wird. Wir dienen oft der Elementarfürsorge.
Das heißt: Wir üben und trainieren Lebensbewältigung in all seinen elementaren Vollzügen, beim Essen angefangen über Selbstorganisation beim Lernen bis hin zu den psychisch hoch sensiblen Aufgaben des Umgangs mit Verlust, mit Angst, mit Trauer, mit Aggression und Gewaltpotenzial in einem selber und in anderen, Übung auch im Umgang mit den Glücksmomenten im Leben, mit Erfolg, Freundschaft, Liebe. Wir, Sie, müssen uns manchen Feuern stellen – so, wie Mose.
Wir können aber gewiss sein, dass Gott auch in den Feuerproben ist, die wir zu bestehen haben. Wenn wir glauben, im Wald zu stehen, uns im Gebirge verirrt haben oder wenn wir Königsträume begraben. Gott hat zu Mose aus dem brennenden Dornbusch gesprochen: „Ich will mit dir sein.“ Auf Gottes Beistand dürfen wir uns verlassen – in unserem Beruf und in unserem persönlichen Leben. Mose wird von Gott berufen, sein Volk Israel aus Ägypten, aus der Sklaverei zu führen.
Wir haben es auch mit Menschen zu tun, die in anderer Weise gefangen sind: Kinder und Jugendliche, die eingesperrt sind in ihren familiären Verhältnissen. Junge Menschen, die befangen sind, ängstlich, vor Minderwertigkeitsgefühlen den Schritt aus sich heraus nicht wagen oder gefangen sind in überzogenen Selbstvorstellungen und dadurch sich und anderen im Weg stehen. Flüchtlinge, Migrantinnen, denen die Sorge den Blick auf das verheißene Land ihrer Zukunft verstellt.
Wir sollen als Christen und Staatsbürgerinnen mit dafür da sein, wenn Menschen einen Exodus, einen Aufbruch wagen aus Situationen, die sie beengen, bedrohen, gefährden. Wer in einem Freistaat wie dem unseren lebt, der wird dankbar Menschen in Freiheit begleiten, wo immer die für sie ist. Das heißt, dass man denen nahe sein, sich in die einfühlen können muss, mit denen man ein Stück Lebensweg mitgeht. Wald, Gebirg und Königstraum. Mose kann das nicht reizen.
Er wird, angesichts der Aufgabe, die Gott ihm aufbürdet, ganz verzagt und versucht, sich rauszuwinden. „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe? (…) Ich bin von jeher nicht beredt gewesen. (…) Mein Herr, sende einen anderen!“ Es wird auch in unserem Leben Momente geben, in denen wir uns der Aufgabe nicht gewachsen fühlen und an unseren Fähigkeiten zweifeln. Wie wir in der Bibel nachlesen können: Das ist ganz normal. Und noch mehr: Es ist eine Tugend.
Es ist eine Tugend, selbstkritisch zu sein, sich selber zu hinterfragen, das eigene Handeln immer wieder neu zu prüfen – auch das in unserem Bayernland. Vermessen und eine Untugend wäre es zu meinen, stets alles zu wissen und zu können. Es ist ein heller Schein der Geschichte vom brennenden Dornbusch: Gott ruft uns und kann uns brauchen. Auch wenn wir manchmal stammeln und zögern, auch wenn wir nicht immer gleich wissen, wie wir es schaffen sollen. Wir können scheitern.
Gehen wir barmherzig miteinander um in unserem schönen Bayern. Dazu gehört Herzensbildung, wie das schöne alte Wort heißt, also eine nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzens und in der Grundeinstellung fest verwurzelte positive Haltung zu einem verantwortlichen Leben, – eine solche Herzensbildung entsteht nicht durch Informationsvermittlung und den bloßen Blick von außen auf die unterschiedlichsten Weltanschauungen und Religionen. Solche Wurschtigkeit hätte auch Mose nicht weiter gebracht.
Herzensbildung braucht intensive Auseinandersetzung, nicht nur ein Kennenlernen, sondern ein Vertrautwerden und Einüben. Herzensbildung braucht im tiefsten Sinne des Wortes „Vor-Bilder“. Toleranz und Respekt haben ein klares Bewusstsein vom eigenen Glauben und den damit verbundenen Werten als Basis. Eigenes Profil macht Dialog möglich. Nur wenn ich weiß, wofür ich stehe, kann ich mich mit anderen auseinander setzen.
In einer Gesellschaft, in der es ein unüberschaubares Angebot an Sinnstiftung gibt, in der immer wieder der Mangel an Orientierung und Werten, die Sehnsucht nach Geborgenheit artikuliert werden, braucht es Männer und Frauen, die profiliert für ihren Glauben und für die Demokratie einstehen. Mit Gottes Hilfe, der ein dynamischer Gott ist, einer der mitgeht. Denn nichts anderes heißt ja: Ich bin, der ich bin, ich werde sein, der ich sein werde. Das ist kontinuierliche Verlässigkeit und permanenter Schwung in einem.
Wald, Gebirg und Königstraum. Das klingt nach trachtlerischer Ludwig II. -Idylle. Das kann es manchmal sein, ist es aber letztlich nicht. Ich habe Heimat mit meinen Eltern im Oberbayerischen gefunden, wo man die liberalitas bavarica zu leben versteht. Eine voralpenländische Willkommenskultur, die thüringisch-oberfränkisch-schwäbischen Migranten offen stand. Niemand von uns musste sich ändern, aber alle drei haben wir uns dort eingefügt, wo es uns sinnvoll und stimmig erschien.
Ich trippelte bei der Fronleichnamsprozession mit, schnupperte in der katholischen Dorfkirche den Weihrauch, bis mir schwindlig wurde. Und entdeckte für immer meine Krippenleidenschaft. Ich bin aus Oberaudorf am Inn, sage ich, wenn man mich fragt, wo ich herkomme. Obwohl ich da gar nicht geboren wurde. Aber ich bin dort daheim, weil ich die Landschaft liebe, den Duft der gemähten Wiesen, die Trollblumen am Berg, die Nachbarschaft Österreichs mit herrlichen Käseläden, die Sprache, den Dialekt.
Fragt mich jemand in Europa, wo ich zu Hause bin, sage ich Deutschland, Bayern, München. Das klingt überall gut – auch in Asien. Dort bleibt allerdings Bayern München hängen und ich in einer fröhlichen Fußballspielercharakterisierung. Macht nichts: Heimat bedeutet auch, ich kenne mich aus in dem, was daheim los ist. Kann davon erzählen. Ich muss mich nicht mit allem identifizieren, was in meiner Heimat geschieht. Aber ich kann Stellung dazu beziehen, ich kann mich dazu verhalten.
Wer aus Bayern kommt, wird im Rest der Republik gelegentlich belächelt. Überall sonst auf der Welt sind die Bayern die Deutschen, denen am meisten Anerkennung entgegengebracht wird. Mit beidem muss man umgehen können. Heimat – das ist Solidarität mit und Loyalität zu dem Ort, dem Land, aus dem man kommt, zu der Familie, der man entstammt. Heimat zu haben bedeutet aber auch, eine kritische-konstruktive Distanz einzunehmen, wo dies nötig ist.
Blut und Boden-Ideologie ist zerstörerisch, weil sie das Eigene absolut setzt, obwohl es doch immer einen Schritt zurück braucht, um klar sehen zu können. Heimat, das ist wie in einer Partnerschaft Faszination und Erschrecken, Zustimmung und Empörung, immer aber der dezidierte Wille, verantwortlich mit eigenen Ideen im Diskurs mitzugestalten. Es geht einem um das Ganze. Wenn einem gleich ist, was geschieht, ist die Beziehung zum Partner, zur Heimat perdu, also verloren.
Wald, Gebirg, Königstraum. Mose unterwegs in das Land, in dem Milch und Honig fließt. Heimat fordert eine persönliche Stellungnahme heraus, eine, die verlangt, genau hinzuschauen. Will ich das, was da bei mir, bei uns geschieht? Gebe ich dem meine Stimme? Oder widerspreche ich, wieder aus guten Gründen? Wie soll meine Heimat, der Ort, an dem ich mich zu Hause fühle, ausgestaltet sein? Aus all diesen Überlegungen wird schnell klar, dass Heimat keine schlichte Idylle ist. Wald, Gebirg, Königstraum. Ja schon.
Aber wer sich die Bewahrung eines Zuhauses für unterschiedliche Menschen auf die Fahnen schreibt, der muss mit dafür sorgen, dass sie alle teilhaben können an dem, was das gesellschaftliche Zuhause bietet. Anteilnahme ist ein Wort, das Empathie und Sympathie miteinschließt. Heimat braucht Teilhabe und Anteilnahme – die Chance, das demokratische Mitreden verwirklichen zu können, zu spüren, dass es Sicherheit, Geborgenheit und Lebensperspektive gibt. Das haben sich Mose und die Israeliten auch gewünscht.
Heimat – das symbolisiert die Idee, wie Leben miteinander sein kann und sein soll: solidarisch und zugleich individuell, persönlich. Gemütlich, genussvoll und zugleich widerständig, aufmüpfig, rebellisch, wenn es um das Wohl des Ganzen geht. Traditionen müssen bewahrt bleiben, wo sie lebensdienlich sind und immer wieder daraufhin überprüft werden, ob sie den Menschen guttun, sie miteinschließen oder etwa ausgrenzen. Heimat ist wandelbar, beweglich mobil – auf keinen Fall starr und stur.
Heimat – für mich bedeutet das Verbundenheit mit dem Glauben und den Werten, die mein Land bislang geprägt haben. Es bedeutet Dankbarkeit gegenüber denen, die meine Heimat nach der Nazi-Barbarei und dem zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut haben. Ja: Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland. Danach lasst uns alle streben, denn das sind biblische Begriffe, humane Prinzipien, die Gläubige verschiedener Religionen und Atheisten verbinden können.
Ich freue mich über die Kreuze, die Marterl, die am Wegesrand stehen, und über die Kreuze in unseren öffentlichen Räumen hängen. Das Kreuz hat seinen Platz nicht nur im privaten Kämmerlein oder im Kirchenraum. Es gehört hinaus in die Welt. Recht verstanden ist das Kreuz ein inklusives Symbol – und zwar eines, das der Welt oft genug eine Torheit ist. Es erinnert daran, dass der wahre Gott sich als wahrer Mensch offenbart. Als einer, der in die tiefsten Abgründe steigt, um seinen Menschen nahe zu sein.
Um ihnen deutlich zu machen, was seine Botschaft ist: Liebe. Ein aufrechter, getroster Gang trotz allen Scheiterns. Freiheit, dem Nächsten zu dienen, ihm in allem Leid und Unrecht beizustehen. Und dabei nie zu vergessen, dass auch im Namen des Kreuzes Schreckliches getan wurde. Das Kreuz ist Symbol des schärfsten Religionskritikers aller Zeiten. Jesus hat sich dagegen verwahrt, dass wir Gott selbstherrlich vereinnahmen und uns dadurch selbst zu einem Gott, einer Göttin erklären.
Sein Kreuz lehrt Demut und Bescheidenheit. Es lehrt uns, aufeinander achtzuhaben. Jenseits der aktuellen Diskussion über das Kreuz in staatlichen Behörden: Ich freue mich darüber, wenn politisch Verantwortliche sich bewusst unter das Kreuz stellen. Es ist gut, wenn sie ihre Verantwortung, ihre Mühe um gute Wege für dieses Land, ihre Entscheidungen im Licht des Kreuzes bedenken. Ich freue mich über jeden, über alle Politiker und Politikerinnen, die sich durch das Kreuz an die eigene Fehlbarkeit und die eigenen Grenzen ebenso erinnern lassen wie an die Vergebung, auf die wir Christenmenschen im Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus hoffen und vertrauen..
In diesem Sinne auch: Gott mit dir, du Land der Bayern … Über deinen weiten Gauen ruhe seine Segenshand. Er behüte deine Fluren, schirme deiner Städte Bau … In Zeiten von Klimakatastrophen und Terrorattacken ist es gut und richtig, sich wieder an den zu erinnern, von dem das Leben kommt und zu dem es zurückkehrt. Ist es notwendig, sich neu ins Bewusstsein zu rufen, dass eine Heimat nichts Selbstverständliches ist, sondern sorgsam bewahrt werden muss.
Bei allen Königsträumen, brennenden Dornbüschen, Wäldern und Bergen bleibt die biblische Einsicht, dass wir auf Erden Fremdlinge sind und dermaleinst in das zurückkehren, was wir als himmlisches Zuhause glauben. Bis dahin darf man sich neben der Arbeit für die Wohnlichkeit dieser Erde an der Beheimatung erfreuen, die uns geschenkt ist. Gott macht uns notfalls Feuer, damit wir tun, was wir sollen. Und Gott ist beständig schwungvoll an unserer Seite. Damit kann man getrost leben und träumen. Amen.
Wald, Gebirg und Königstraum. Mythos Bayern
Ökumenischer Gottesdienst anlässlich der Landesausstellung
Ettal, Basilika, 2. Mai 2018, 10 Uhr
Susanne Breit-Keßler
Foto: ELKB-Rost: Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler